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Bernhard - der Zisterzienser

RELIGION / PHILOSOPHIE > Arbeiten zu theologischen Themen


ARBEITEN ZU THEOLOGISCHEN THEMEN

Bernhard - der Zisterzienser

Diese Arbeit entstand 1991 nach einer theologischen Bildungsreise durch Burgund (F) und nach einem ersten mehrwöchigen Aufenthalt in der Zisterzienserabtei Hauterive FR

AUFBRUCH IN DIE EINSAMKEIT

In jungen Jahren trat ein Mönch namens Robert - viel mehr wissen wir nicht von ihm - ins Benediktinerkloster Molesme  ein. Das Kloster war cluniazensischer Observanz, d.h. auf die Ordensregeln des benediktinischen Reformordens von Cluny ausgerichtet. Das Mönchsleben dort aber entsprach Roberts Vorstellungen nicht. Mit 20 Gefährten gründete er ca. 100 km südöstlich von Molesme, in der Einöde von Cîteaux (Cistercium, Zisterz), inmitten von Sumpf und Gehölz, wo auch Wölfe hausten, ein kleines, ärmliches Klösterchen. Da Robert die Gefahren des Wohlstands für das Klosterleben kannte, lehnte er jede Spende ab. Er war kaum ein Jahr in dieser Wildnis, als er auf kirchlichen Befehl wieder nach Molesme zurückgeholt wurde. Die Führung von Cîteaux übernahm Alberich (1099-1109). Unter ihm und seinem Nachfolger Stephan Harding (1109-1133) begann die Niederlegung der Satzungen , denn zu dem war Robert vor lauter Arbeit nicht mehr gekommen. Die Ordensidee war einfach: Rückkehr zum alten Mönchtum. Da die Ordensgründer dem Benediktinerorden entstammten, sind die Zisterzienser als benediktinischer Reformorden anzusehen, ja, eigentlich als Reformorden eines Reformordens, nämlich dem der Cluniazenser.

Die harten Regeln der Mönche weckten die Kritik (oder war es das schlechte Gewissen?) der umliegenden Mönchsgemeinschaften. Ein unerklärliches Sterben unter den Gefährten Stephan Hardings zog den Hohn anderer Klosterbrüder auf die Zisterze und ihr streng asketisches Lebensideal. Neueintritte waren keine zu verzeichnen. Pater Stephan war der Verzweiflung nahe: Sollte seine mönchische Idee sich als nicht überlebensfähig erweisen? In der langen Zeit des unaufhaltsamen Niedergangs betete der Abt oft unter Tränen zu Gott, er möge das drohende Unheil abwenden. Aber nie spielte er mit dem Gedanken, die Ordensregeln zu lockern. Es muss wie ein Wunder angemutet haben, als es im April 1112 am Abend an der Pforte klopfte. Draussen stand eine Gruppe von Männern, der adelige Bernhard de Fontaine mit dreissig Gefährten, die alle Einlass in den Orden begehrten. Von nun an erfuhr Cîteaux einen ungeahnten Aufschwung. Schon drei Jahre später wurden dreimal zwölf Mönche ausgesandt, um Filialklöster zu gründen. Unter den Klosterpionieren war auch Bernhard, der in einer Einöde 120 km nordwestlich des Mutterklosters 1115 sein Kloster gründete, das er "Clairvaux"  nannte, und dessen erster Abt er wurde. Zwar war Bernhard von Clairvaux nicht der Ordensgründer der Zisterzienser, ganz sicher aber war er ihr grösster Förderer. Bis zum Ende seines Lebens rief er noch 68 weitere Klöster ins Leben. Bei seinem Tode 1153 zählte der Zisterzienserorden bereits 350 Klöster, 1200 waren es 530, um 1500 700 Männer- und 900 Frauenklöster.

Die Zisterzienser suchten bewusst die Rückkehr zur "Regula" Benedikts. Sie betrachten heute wie damals Benedikt von Nursia als ihren geistigen Vater . Durch die Einführung der spezifischen Mystik Bernhards, von der noch die Rede sein wird, gewann diese benediktinische Regel aber noch mehr an Tiefe.

Die Zisterzienser waren bemüht, sich von kulturellen Einflüssen und Abhängigkeiten freizuhalten. So wurden die Klöster möglichst in der abgelegensten Einsamkeit errichtet. Weltliche Herren hatten in den Klostermauern nichts mehr zu suchen. Das bedingte, dass die Klöster autark  waren, denn viele Zuwendungen, die andere Klöster erhielten, blieben hier aus. Das Laienbrüderinstitut gab den Zisterziensern die Möglichkeit, sich von fremden, externen Arbeitskräften unabhängig zu machen. Aber die Laienbrüder waren weit mehr als billige Arbeitskräfte. Auch wenn die Aufgaben streng geteilt waren, was sich auch in einer hierarchischen Trennung bemerkbar machte, waren die Laienbrüder vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft. Der Mönch sollte sich allein der Kontemplation  widmen, in Gebet und Arbeit. "Ora et labora !" An seinen Geistesgaben hatten aber alle in der Gemeinschaft teil. Die innere Klausur war der Ort des Wirkens der Mönche. So fand in den Mauern der Zisterzienserklöster keine Bildungsarbeit, keine Seelsorge, keine Predigertätigkeit statt. Allerdings waren die Klöster später unter weltlichem Druck doch oft gezwungen, diese und jene Aufgabe ausserhalb ihrer Ordensregel zu übernehmen, ganz besonders nach dem Josephinismus, einer aufklärerischen Strömung im 18. Jahrhundert, wo es um den nackten Weiterbestand der Klöster ging.

Da die Zisterzienser keine Wolle färbten, war ihr charakteristisches Kleid grau-weiss. Heute tragen sie weisse Gewänder und schwarze Chormäntel, was sie von den Benediktinern deutlich unterscheidet. Die Nacht verbrachten sie angekleidet auf einem Strohsack in einem ungeheizten Schlafsaal, um beim ersten Glockenschlag für das Gottes- und Marienlob bereit zu sein. Der Morgenschlaf war verboten, weil ein Mönch in der Stunde, wo Jesus sich aus seinem Grab erhob, nicht schlafen dürfe. Die Mahlzeiten waren karg, oft fleisch- und fettlos, zu essen gab es höchstens zweimal am Tag. Allgemein geht es heute in den Klöstern etwas menschlicher zu, man achtet  mehr auf die Gesundheit und die körperlich-seelische Ausgeglichenheit der Mönche.

Selbst im Kirchenbau waren die Zisterzienser Puritaner. Keinen Glockenturm, nur einen Dachreiter, keine farbigen Glasfenster, keinen Zierrat irgendwelcher Art. Auch hier wurden in der Folgezeit einige Zugeständnisse gemacht, aber noch heute bestechen Zisterzienserklöster mehr durch ihren Baustil als durch ihre Innenausstattung.


BERNHARD VON CLAIRVAUX

Wer sich heute mit Bernhard beschäftigen will, wird zunächst nicht umhin kommen, Stellung zu beziehen. Es gibt Kirchenhistoriker, die ihm attestieren, das geistige Leben des Abendlandes im 12. Jahrhundert wesentlich beeinflusst zu haben. Hildegard von Bingen bezeichnet ihn als "Adler, der in die Sonne schaut". Im 19. Jahrhundert aber gab es vernichtende Kritiken an Bernhard; Schiller nennt ihn in seinem Brief vom 17. März 1802 an Goethe einen "weltklugen geistlichen Schuft". Selbst zu seinen Lebzeiten war Bernhard nicht unumstritten. Das zeigt schon die Tatsache, dass ihm nie ein höheres kirchliches Amt angetragen wurde. Meist wird Bernhard mit seinem unglückseligen Aufruf zum zweiten Kreuzzug in Zusammenhang gebracht. Dies war in der Tat seine grösste Entgleisung, für die er auch seelisch schwer gebüsst hat. Nur, sein Wirken lässt sich nicht auf diesen Fehltritt reduzieren. Wer sich ernsthaft mit Bernhard von Clairvaux beschäftigen will und ihm näher kommen will ("verstehen" wäre wohl zuviel verlangt!), muss bereit sein, tief in die Welt mittelalterlichen Denkens und mittelalterlicher Spiritualität einzutauchen.

ABÄLARD - EINE GEISTIGE HERAUSFORDERUNG

Abälard (1079 - 1142) war ein schillernder Freidenker - geistreich, angriffig, wenn auch nicht frei von einer gewissen Arroganz. Er liebte den philosophischen Disput so sehr, dass er sogar das Erbe seines Vaters ausschlug, um sich voll seinen Studien widmen zu können. Sein Vater hiess Berengar und war Gutsbesitzer in Pallet bei Nantes. Viel mehr wissen wir nicht von seiner Herkunft, auch nicht von der Herkunft seines Namens, denn getauft war er auf den Namen Pierre.

Unter anderem ging der philosophische Streit um die Existenz der "Universalien" . Platon hatte gelehrt, dass - in Anbetracht der Vergänglichkeit der einzelnen Dinge - der Allgemeinbegriff dauerhafter und damit wirklicher sei, als jedes Glied, das diesen Allgemeinbegriff bildet. So sollte z.B. die Menschheit wirklicher sein als der einzelne Mensch. Dem gemäss war die Katholische Kirche wirklicher als der Katholik, was den damaligen geistigen Würdenträgern durchaus ins Konzept passte. Das war das, was man im Mittelalter gemeinhin als "Realismus" bezeichnete. Dem gegenüber postulierte Aristoteles, alle Allgemeinbegriffe seien lediglich Ideen, die vom menschlichen Geist gebildet würden, bar jeder konkreten Realität, reine Abstraktionen. In Frankreich war es Jean Roscelin (ca. 1050 - 1120), ein Lehrer Abälards, der diese Ideen wieder vertrat. Die Kirche konnte natürlich diese als "Nominalismus" bezeichnete Lehre nicht akzeptieren. Trotzdem wäre Roscelin wahrscheinlich ungeschoren geblieben, hätte er nicht - folgerichtig zu seiner Lehre - auch die Dreieinigkeit Gottes in Frage gestellt. In der Argumentation Roscelins musste der dreieinige Gott in drei unterschiedliche Götter zerfallen, und das war natürlich unvereinbar mit dem christlichem Dogma.

Abälard war ein scharfsinniger Denker, dessen Charakter leider nicht mit seiner Begabung Schritt hielt. Er machte sich über den Realismus lustig und verwarf den Nominalismus seines Lehrers. Er setzte ihnen  seinen "Konzeptualismus" entgegen. Gattungen und Eigenschaften seien zwar an ihre körperlichen Bestandteile gebunden, die ihnen den Namen geben, trotzdem seinen nicht nur die Bestandteile wirklich, sondern auch deren übergeordnete Begriffe. Diese seien unerlässliche Werkzeuge des Denkens, namentlich der Wissenschaft und der Philosophie. Abälards Denken war analytisch-dialektisch im besten Sinne, sein Ansinnen, das Sein verstandesmässig zu durchdringen, modern und für die damalige Zeit revolutionär. Nicht der Glaube, der Zweifel war das Werkzeug, mit dem er der Realität des Mittelalters gegenübertrat. Mit anderen Ansichten wandte er sich gegen den moraltheologischen Begriff der "Sünde". "Sünde" liege nicht in der Tat, sondern allein in der Verletzung des eigenen Moralgewissens. Der Mord der Römer an den Märtyrern der Kirche sei vor Gott keine Sünde, weil sie nicht in "niederer Absicht", sondern zur Erhaltung des Staates getötet hätten.

Was die Kirche aber noch mehr störte als diese ketzerischen Aussagen, die den Sündenbegriff der Kirche unterhöhlten, war die Aussage, dass es kein Mysterium geben könne, dass alle Dogmen einer vernunftmässigen Erklärung zugänglich sein müssten. Da Abälard zudem öffentlich lehrte und sich einer grossen Anhängerschaft erfreute, sah sich die Kirche zum Handeln gezwungen. Das war der Punkt, wo sich Bernhard von Clairvaux aufgerufen sah, Abälard offen den Krieg zu erklären.

Bernhard versuchte anfangs, der Konfrontation zu entgehen, die er für ein "kindisches dialektisches Spiel" hielt. Es war Abälard, der die Gegenüberstellung herausforderte. In der offenen Auseinandersetzung mit dem Andersglaubenden offenbarte sich dann aber das ausufernde Temperament und der fast fanatische Zug Bernhards, wenn es um Fragen des Glaubens ging. Diese Härte und Verbissenheit waren kaum vereinbar mit seinem mystischen Jesusverständnis und seiner "honigsüssen" Sprache. Unterschiebungen und Beschimpfungen prägten diesen Streit, der bald die Sachebene verliess und zur persönlichen Verleumdung Abälards ausartete.

Abälards kühler Rationalismus stellte den denkbar grössten Gegensatz zu Bernhards glühender Mystik dar. Für Bernhard war Abälard der Mann, der sich "würdelos anmasste, den Sinn des Glaubens kleinen Menschengedanken zum Spiel zu überlassen". Die Summe seiner Kritik: "Glühen ist mehr als wissen!" zeigt das auch in der heutigen Zeit nicht unproblematische Verhältnis zwischen glaubensmässigem und intellektuellem Erfassen  lebensrelevanter und damit religiöser Fragen. Aber der Ausspruch verkennt, dass es eines umfassenden Wissens bedarf, um so eine Aussage auch in ihrer ganzen Dimension würdigen zu können. Nun war auch Bernhard sicher ein gebildeter Mann. Aber irgendwo in seinem Leben musste er sich für einen der unvereinbaren Pole entscheiden: Wissen oder "Glühen", und er hat sich vorbehaltslos für das letztere entschieden. Es war ein Entscheid, "bei sich selber zu bleiben" und dem ist er immer treu geblieben, auch wenn er in der Menge predigte und Massen mobilisierte.

Jedenfalls waren die beiden Männer so verschieden, dass ein Konsens unmöglich war. Im Konzil von Sens sollte sich Abälard dem Klerus stellen. Als er im Juni 1140 in Seins eintraf, fand er eine feindselige Stimmung vor. In weiser Voraussicht unterstellte er sich dem alleinigen Urteil des Papstes und verliess Seins wieder, um nach Rom zu reisen. Das Konzil war sich unschlüssig, wie es jetzt fortfahren sollte. Bernhard nahm die Zügel in die Hand und verurteilte sechzehn Sätze aus Abälards Büchern, darunter seine Sündendefinition und seine Theorie von der Heiligen Dreieinigkeit als Manifestation der Macht, Weisheit und Liebe Gottes.


Romanische Abteikirche Cluny III, 11. - 12. Jahrhundert (Rekonstruktion)

Abälard kam nicht bis Rom. Alter, Mittellosigkeit und Krankheit verzögerten die Reise. Im Kloster Cluny im Burgund fand er Mitleid und Pflege. Dort erreichte ihn auch das Dekret von Papst Innozenz  II. in welchem der Urteilsspruch von Seins bestätigt wurde. Abälard blieb in Cluny, nahm das Mönchsgewand und unterzog sich dem "ewigen Schweigen", das ihm vom Konzil auferlegt worden war. In der letzten Zeit seines Lebens schrieb er Briefe und Hymnen für Heloise, seine ehemalige Frau, die schon zwanzig Jahre zuvor wegen eines widrigen Ränkespiels, an dem jedoch Abälard nicht unschuldig war, den Schleier nehmen musste. Diese letzten Schriften gehören zu den schönsten der mittelalterlichen Literatur. Am 21. April 1142 verstarb Abälard in der Priorei St. Marcel bei Châlons.

DAS MÖNCHISCHE IDEAL UND DIE MYSTIK BERNHARDS

Bernhard schenkte sich nichts punkto Askese und benediktinischer Zucht. Nichts fürchtete er mehr als Verweichlichung. Immer war er anderen Mönchen ein Beispiel. Besonders in seinen jungen Jahren marterte er seinen Körper derart, dass er ein unheilbares Magenleiden davontrug und den Geschmackssinn verlor. Selbst als Abt hauste er nur in einem feuchten Verschlag, in dem er nicht einmal stehen konnte, ohne sich den Kopf an den Dachbalken anzustossen. Er schlief auf Stroh, ein Holzscheit als Kopfkissen. Schon bald litt er an der typischen Mönchskrankheit, an Rheumatismus. Von seinen Mitbrüdern forderte er die gleiche Zucht, die er sich selber auferlegte. Dabei entstammten alle seine Gefährten dem französischen Adel und kannten bessere Lebensbedingungen. Es wundert nicht, dass Bernhard das Mönchtum als "Rittertum Christi" empfand,  nicht als Blut- sondern als Geistadel. An anderer Stelle wiederum verglich er das Mönchtum mit den Gauklern, die "mit dem Kopf nach unten und den Füssen nach oben" die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zogen. Den heutigen Betrachter erstaunt, dass eine beträchtliche Zahl junger Leute sich für ein solch radikales Klosterleben entschieden. Doch oft half Bernhard dem Eintritt ins Kloster auch kräftig nach . Man mag über Bernhard sagen, was man will: Selten hat es jemand verstanden, so eindringlich und plastisch seine monastische Idee, sein mönchisches Ideal darzustellen wie er.

Die Menschen waren der Überzeugungskraft Bernhards und seiner geistigen Ausstrahlung wehrlos ausgeliefert. Seine rhetorische Palette reichte von liebevoller Einladung bis zu schärfsten Gewissensappellen. Bernhard besass unbestreitbar eine suggestive Macht, die Frauen und Mütter ihre Türen verschliessen liess, wenn er in der Nähe weilte, aus Angst, sie würden ihre Männer bzw. Söhne an ein Kloster verlieren.


"Maria lactans", Bernhardaltar (1606)
Zisterzienserinnenabtei Heiligkreuztal (Württemberg)

Durch Bernhard gelang der eher verhaltenen benediktinischen Mystik des 12. Jahrhunderts der Durchbruch und sie überflutete buchstäblich das Abendland. Bernhard entfaltete seine Mystik in den Predigten, nicht im philosophischen Reden über Mystik. Er war ein mächtiger und leidenschaftlicher Prediger mit einer farbigen Bildersprache. Seine Vision von Jesus, der seine durchbohrten Hände vom Kreuz löst, um ihn zu umarmen, zeigt seine innige Jesusbeziehung. Daneben mutet das Bild des Milchstrahls, der aus der entblössten Brust der Maria direkt in den Mund Bernhards schiesst, den heutigen Betrachter eher eigenartig an. Doch wäre es sicher nicht ganz richtig, Bernhard verdrängte erotische Wünsche zu unterstellen.

Ein ganz wichtiges Motiv seiner Mystik war das des "dreifachen Kusses", das er aus der Meditation über das erste Kapitel des Hohelieds entwickelte. Die mit Sünde beladene Seele musste sich vor Jesus, dem Sohn Gottes niederwerfen. Der "Kuss des Fusses", der Bussakt und das Zeugnis der Demut, entspricht dem ersten Schritt der Näherung an das grosse Mysterium. Die nächste Stufe ist der "Kuss der Hand". In ihm sah Bernhard das Gelöbnis der Nachfolge Christi, eines in sich gekehrten, reinen Le-benswandels. Der Kuss der Hand  ist ein Zeichen der Zuneigung und Liebe. Die letzte Steigerung ist schliesslich der "Kuss des Mundes", die höchste Hulderweisung Gottes gegenüber dem Menschen, die "unio mystica ". "Niemand soll glauben, er habe den Kuss erhalten, solange er die Wahrheit erkennt, ohne sie zu lieben!" Liebe sah Bernhard als das höchste Prinzip, das sogar über Gott triumphiert. Gleich dahinter fügte er aber bei: "Was ist so ohnmächtig wie Liebe? Sie ist so siegesgewaltig und wird doch so gewaltig von Gott besiegt." Liebe ist wie die sich selbst verzehrende Glut. An einer anderen Stelle gestand Bernhard: "Ich bin krank vor Liebe:" Dieser die ganze Zisterziensermystik durchpulsende Liebesrausch muss bei der Beurteilung Berhards immer in Rechnung gezogen werden. Wer nur  lauwarm vor sich hindöst, wird kaum je Schaden anrichten. Wer aber wie ein glühender Lavastrom die Welt überflutet, wird auch verbrennen - sich und andere!

BERNHARD UND DIE ZISTERZIENSERGOTIK

Die zisterziensische Architektur, die Zisterziensergotik, wurde nicht unwesentlich von den Ideen Bernhards beeinflusst. Auf die aussergewöhnliche Klostergründungstätigkeit Bernhards habe ich schon im Einleitungs¬kapitel hingewiesen. Zwar gilt das 12. Jahrhundert noch als Blütezeit der Romanik, die in der Spätromanik ei¬ne berauschende Prachtfülle entwickelte, aber die gotische Architektur war schon  1140 in Saint-Denis (Paris) begründet worden. Die Gotik war Ausdruck eines neuen, "himmelstrebenden" religiösen Gefühls. Dazu hat sicher auch die erfolgreich fortschreitende Reconquista  beigetragen , an der die Reformorden durch ihren geisti¬gen und propagandistischen Beistand nicht unwesentlich beteiligt waren. Zentrum dieser Reformbewe¬gung war das 910 gegründete Kloster Cluny im Burgund, das bis ins 16. Jahrhundert die grösste Kirche der Chri¬stenheit besass. Cluny entwickelte sich zum Haupt einer Organisation, der gegen 2000 Klöster angehör¬ten. 1098 lösten die Zisterzienser die Cluniazenser in der geistigen Führung der römischen Kirche ab.

Die Strenge und Askese der Zisterzienser zeigte sich auch in ihren Kirchen und Konventsgebäuden. Bernhard besass keinen Sinn für die ausladende Üppigkeit der spätromanischen Kirchenausstattungen, in die sich auch viel Heidnisches hineingeschmuggelt hatte. Was wir heute bestenfalls als "symbolisch" betrachten, nannte Bernhard "deformis formositas ac formosa deformitas ". Aber sicher hatten viele der nichtreligiösen Darstel¬lungen mehr als rein dekorative Funktion. Sie entsprangen der mittelalterlichen Bildersprache und vermochten durchaus auch, re¬ligiöse Inhalte anschaulich wiederzugeben. Trotzdem hielt Bernhard am Verbot jeglicher Kirchenausstattung fest: keine Gemälde, keine Skulpturen ausser Holzkreuzen, keine farbigen Glasfenster ... . Der Glockenturm hatte sich auf einen einfachen Dachreiter zu beschränken, der nicht aus Stein sein durfte.
Viele Kirchengründer taten sich schwer mit diesem strengen Puritanismus. In spä¬terer Zeit drang vermehrt die Ansicht durch, dass eine allzu schlichte Ausstattung eines Gotteshauses nicht würdig sei. So finden wir heute in vielen Zisterzienserkirchen - aus späterer Zeit - zum Teil prächtige farbige Glasfenster,  Wandgemälde und Skulptu¬ren, die sich aber in der Regel gegenüber den sinnbetörenden Aus¬stattungen anderer Kirchen immer noch bescheiden ausnehmen.




Beide Fotos dieses Kapitels: Abbaye cistercienne de Fontenay gegründet von Bernard von Clairvaux (1118)




DER AUFRUF ZUM ZWEITEN KREUZZUG - EIN TRAGISCHER IRRTUM

Für einen so feurig gläubigen Mann, der sich das Schicksal der Christenheit zum eigenen Schicksal gemacht hatte, war es äusserst schwer, sich aus der Politik seiner Zeit herauszuhalten. Eine solche politische Tat war schon die unglückliche Verurteilung Abälards. Im Alter von 54 Jahren wagte er sich auf ein noch weit schwierigeres politisches Parkett.


König Ludwig VII. nimmt aus der Hand Bernhards das Kreuz; Miniatur um 1490

1145 bestieg ein Schüler Bernhards als Eugen III. den Papstthron. 1128 hatte Sultan Imad ad-Din Zengi Atabeg von Mosul die Hafenstadt Aleppo im Norden Israels erobert. In der Gegend von Syrien braute sich daraufhin der Widerstand gegen den Kreuzfahrerstaat im Heiligen Land zusammen. 1144 fiel Edessa in Westmakedonien in die Hände der Muslime. Im Abendland sorgte man sich - nicht zu unrecht - um den Fortbestand des christlichen Königreichs Jerusalem, das zudem von Thronfolgewirren geschwächt war. Papst Eugen rief 1145 den französischen König gegen Erlass aller Sünden zum Kreuzzug auf.  Ludwig VII. willigte sofort ein, aber der französische Adel stellte sich quer. 1146 erschien die zweite Kreuzzugsbulle des Papstes. Da der Papst aber der Wirkung seines Aufrufes misstraute, beauftragte er Bernhard von Clairvaux, die Kreuzugstrommel zu rühren. In Vézélay gelang es Bernhard in einer flammenden Rede doch noch Kreuzzugsstimmung aufkommen zu lassen. Er zögerte nicht, selbst Kriminelle zum Waffengang ins Heilige Land zu bewegen. Alle Leute waren von der Predigt auf dem freien Feld begeistert, der König konnte beginnen, den Kreuzzug zu organisieren.

Bernhard war dieser Erfolg nicht genug. Ohne Absprache mit dem Papst reiste er noch im gleichen Jahr nach Deutschland, um den Kaiser zum Kreuzzug zu bewegen. An Weihnachten sprach Bernhard mit Hilfe eines Dolmetschers im Dom von Speyer. Konrad III. war tief bewegt und beschloss - trotz interner Probleme - das Kreuz zu nehmen. Am Reichstag von Frankfurt vermochte Bernhard auch die sächsischen Fürsten zu überzeugen. Die Kreuzzugpropaganda schürte aber erneut den Hass gegen die Juden. Überall flackerten Pogrome  auf. Bernhard wandte sich sofort gegen die eigenmächtigen Hetzer und nahm die Juden in Schutz. Zwar lebte auch Bernhard in der Überzeugung seiner Zeit, die Juden seien Schuld am Kreuzestod Christi gewesen, aber er sah in der Diaspora  der Juden eine gerechte Strafe für ihre Untat, in der letztlich das Erlösungswerk Jesu Christi verherrlicht würde. Waren seine Argumente auch nicht über jeden Zweifel erhaben, so retteten sie doch zweifellos zahlreichen Juden das Leben.

Im Mai 1147 versammelten sich die Deutschen in Regensburg und brachen Ende Monat auf. Zwischen 20'000 und 30'000 Kreuzfahrer folgten dem Aufruf. Aber schon bald gab es Ränke im Heer, jeder misstraute jedem, kaum einer, der nicht mit einem anderen Händel gehabt hätte. Anfangs gelang es Konrad noch, Ordnung zu halten. Kaum auf byzantinischem Gebiet angelangt, begannen aber Übergriffe auf die Bevölkerung und Plünderungen. Auch zwischen den Deutschen und den mitreisenden Franzosen gab es bald blutige Fehden. Ein Unwetter mit einer Überschwemmung, bei der viele den Tod fanden, kühlte den Mut für kurze Zeit. Das Unglück galt als Fingerzeig und Strafe Gottes für das wüste Benehmen der Kreuzritter. Aber schon im September 1147 setzte die Zügellosigkeit angesichts des Reichtums der Stadt Konstantinopel wieder ein. Doch die Byzantiner wehrten sich erfolgreich und wiesen die marodierenden Kreuzfahrer in die Schranken.

Das französische Kreuzheer brach etwa einen Monat später auf. Auch bei den Franzosen kam es zu Plünderungen auf byzantinischem Gebiet. Da aber König Ludwig hart durchgriff, hielten sich die Byzantiner zurück. Anfang Oktober trafen die Franzosen in Konstantinopel ein und wurden von Kaiser Manuel freundlich empfangen. Neue Spannungen entstanden, als die Franzosen von einem Waffenstillstand zwischen Kaiser Manuel und dem Sultan von Ikonion (Konya) erfuhren. Bündnisse mit dem Feind widersprachen dem Kreuzzugsgedanken. Trotzdem hielt Ludwig seine Leute zurück, denn er war auf die Lebensmittellieferungen aus Konstantinopel angewiesen. Er liess sich sogar den Eid auf Rückgabe eroberter byzantinischer Gebiete abnehmen.

Dem deutschen Kampfheer war es inzwischen schlecht ergangen. Bei Dorylaion waren sie in einen türkischen Hinterhalt geraten und fast gänzlich aufgerieben worden. Weniger als ein Fünftel des Heeres konnte sich bis Nikaia durchschlagen. Alles Lagermaterial und alle Wertgegenstände blieben in der Hand der Türken. Ein grosser Teil der Überlebenden machte sich wieder auf den Heimweg. Im November stiessen die Franzosen zu den verbliebenen Deutschen. Die beiden Herrscher beschlossen, gemeinsam den weniger gefährlichen Küstenweg nach Süden vorzustossen. Sie erreichten unangefochten Ephesus. Da zwang eine Erkrankung Konrad Ende 1147 zur Rückkehr nach Konstantinopel. Drei Monate später reiste er mit einem byzantinischen Geschwader auf dem Seeweg nach Palästina.


Siegreiche "fränkische" Kreuzfahrer des ersten Kreuzzuges (1096 - 99); Bibelillustration um 1200
Königliche Bibliothek, Den Haag (Niederlande)

Inzwischen hatte Ludwig den Weg fortgesetzt. Die türkischen Angriffe häuften sich und fügten dem Kreuzzugsheer schmerzliche Verluste zu. Ludwig liess sich von Attalia aus mit dem Schiff nach Antiochia bringen. Da nicht genügend Schiffe zur Verfügung standen, musste der Heertross sich unter weiteren Verlusten  den Landweg nach Antiochia erkämpfen. Die Kreuzfahrer suchten die Schuld für ihr Leiden bei den Byzantinern. Tatsache aber ist, dass die hochmütigen Ritter immer wieder gutgemeinte Ratschläge in den Wind schlugen und mit ihrer Zügellosigkeit auch manchen gutmeinenden Griechen gegen sich aufbrachten.

König Konrad kam im April 1147 in Akkon an und warb sofort neue Truppen an mit dem Geld, das ihm Kaiser Manuel gegeben hatte. Ludwig zog es vorerst nach Jerusalem, wo er von König Balduin III prunkvoll empfangen wurde. Im Juni fand in Akkon eine grosse Lagebesprechung unter allen Heerführern statt. Gemeinsam beschlossenes Ziel war die Unterwerfung von Damaskus. Am 24. Juli 1148 standen die vereinigten Heere vor Damaskus. Die Kämpfe waren für beide Seiten verlustreich. Diplomatische Aktivitäten setzten ein. Schliesslich tauschten die Belagerer ihre günstigen Ausgangsstellungen gegen weniger günstige. Warum die Befehlshaber das anordneten, ist heute nicht mehr auszumachen, aber es ist wahrscheinlich, dass Bestechung und Verrat im Spiel waren. Jedenfalls war der Kampf damit beendet und verloren.

Enttäuscht segelte Kaiser Konrad am 18. September 1147 wieder heim. König Ludwig folgte ihm im Frühsommer 1149. Für das schmähliche Versagen bei diesem zweiten Kreuzzug machte er die Byzantiner verantwortlich. Von seiner Gemahlin, die die Sache etwas selbstkritischer sah, liess er sich kurzerhand scheiden.

Ludwig hatte bei einem Zwischenhalt auf Sizilien mit König Roger einen weiteren Kreuzzug beschlossen. Wieder wurde Bernhard von Clairvaux als Propagandist eingesetzt. Der Papst befand sich erneut in einer Zwickmühle. Zwar wollte er die Schmach des letzten Kreuzzuges tilgen, aber konnte keinen Konflikt mit Byzanz  riskieren, der wohl unausweichlich gewesen wäre. Kaiser Konrad hatte mit Kaiser Manuel sein Bündnis erneuert, und der Papst war noch immer auf die kaiserliche Hilfe gegen die widerspenstigen Römer angewiesen. Er wollte seine Entscheidung zur Verleihung der Kreuzugsprivilegien von der Mitwirkung bedeutender Fürsten abhängig machen. Letztere sollte Bernhard überzeugen. Mit der alten Glut und dem alten rhetorischen Eifer machte sich Bernhard ans Werk. Diesmal aber war ihm kein Erfolg beschieden. Die alten Argumente verfingen nicht mehr, Bernhard hatte seinen Kredit verspielt, seine grossen Versprechungen hatten sich als nichtig erwiesen. Am 20. August 1153 verstarb Bernhard in der Stille und Einsamkeit, die er sich in früheren Zeiten wohl öfters gewünscht hätte. Sicher hatte er vor seinem Tod einen Weg gefunden, mit der herben Enttäuschung fertig zu werden, die die Nichterfüllung seiner hohen Kreuzzugserwartungen hinterlassen hatte.

Quellen:

Walter Nigg DAS GEHEIMNIS DER MÖNCHE Artemis Verlag, Zürich 1953
Will Durant KULTURGESCHICHTE DER MENSCHHEIT VII Südwest Verlag, München 1978
Peter Milger DIE KREUZZÜGE - KRIEG IM NAMEN GOTTES Bertelsmann, München 1988
Prof.Günter Stemberger (H) BIBEL - IN WORT UND BILD Andreas Verlag, Salzburg 1981
Prof. G. Zarnecki KUNSTKREIS STILGESCHICHTE - ROMANIK Kunstkreis Verlag, Luzern
Erwin Gradmann BAUSTILKUNDE Hallwag Verlag, Bern 197610
Kunstführer 1474 ZISTERZIENSERABTEI HAUTERIVE Schnell Verlag, Zürich 1984
H. Kinder & W. Hilgemann DTV-ATLAS ZUR WELTGESCHICHTE dtv Verlag, München 19739


 
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