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Das kleine Jesuskind - der kleine Prinz

RELIGION / PHILOSOPHIE > Weisheit in Bibel und Märchen


DIE WEISHEIT IN BIBEL UND MÄRCHEN

DAS KLEINE JESUSKIND - DER KLEINE PRINZ

1) Einleitung (Als separates Blatt an die Andachtsteilnehmer bei der Begrüssung abzugeben)
2) Eine düstere Zeit
3) Ein Licht kommt in die Dunkelheit
4) Ein Kind lehrt uns neues Sehen

Die Texte aus der Bibel und aus „Der kleine Prinz“ sind vorzugsweise von zwei verschiedenen Personen zu lesen!

Einleitung zu „Der kleine Prinz“

Zu den schönsten Märchen des 20. Jahrhunderts zählt zweifellos Antoine de Sait-Exupérys „Le Petit Prince“ („Der kleine Prinz“). Die kleine Erzählung, die zum philosophischen Vermächtnis von Saint Exupéry wurde, entstand während des Zweiten Weltkrieges. Sie greift zurück auf einen tatsächlich erlebten Flugzeugabsturz von Saint Exupéry 1935 in der ägyptischen Wüste. 1942 schloss sich „Saint-Ex“ - wie ihn seine Freunde nannten - in Nordafrika der französischen Armee im Exil unter General De Gaulle an. Am 31. Juli 1944 startete Sait-Exupéry als Fernaufklärer zu seinem letzten Flug. Der Pilot und Dichter kehrte nie wieder zurück und blieb verschollen.

Vorgeschichte zur „Weihnachtserzählung nach Lukas“

Palästina und Transjordanien waren im Jahr 63 v.Chr. als syrische Randprovinzen durch Pompejus der römischen Verwaltung untergeordnet worden. 48 v.Chr. wurde Pompejus in Ägypten ermordet. In der Strafexpedition Julius Caesars zeigten sich die jüdi-schen Truppen dem Kaiser loyal. Zum Dank ernannte der deren Führer Herodes Antipater zum Prokurator von Judäa. Nach dessen Tod im Jahr 40 v. Chr. wurde dessen Sohn vom Senat sogar zum König über Judäa bestimmt. Dieser Mann, der als Herodes der Grosse in die Geschichte einging, erscheint auch in der Weihnachtsgeschichte des Matthäus.

31 v. Chr. besiegte Gaius Octavius Caesar Antonius und Cleopatra in der Schlacht bei Actium (Griechenland) und bestieg  den römischen Thron. Er befriedete das von Intrigen und Machtkämpfen zerrissene Römische Reich. Für die Provinzen bedeutete das aber auch ein eisernes Regime. Jeder Widerstand wurde im Keim erstickt. Ab 27 v.Chr. legte sich Octavius den Titel „Augustus“ („der Erhabene“) zu, ein Titel, der den Kaiser in den Rang eines Gottes erhob. Gleichzeitig liess er in seinem Reich eine Steuerliste erheben. Eine klare Vorstellung über das Steueraufkommen war wichtig zur Festigung der Macht. Quirinius wurde im Jahre 12 v.Chr. Statthalter in Syrien, mit der Aufgabe, die Steuererhebung in den orientalischen Provinzen Roms voranzutreiben. Gerade die Juden wehrten sich vehement gegen die römischen Eindringlinge. Verschiedene Widerstandstruppen wie die Zeloten (Eiferer) oder die Sikarier (Dolchmänner) machten den Römern in Palästina (ab dem Jahr 6, als Judäa römische Provinz wurde) das Leben schwer. Da Rom aber zu stark war, um offen bekämpft zu werden, ging der Widerstand in den Untergrund. Das Volk  stand zwischen den militanten jüdischen Eiferern und den römischen Soldaten. Von beiden Seiten wurde es dauernd der Kollaboration verdächtigt. Es war eine schwere Zeit. In dieser Zeit erwartete man den Messias, den göttlichen Erlöser mit besonderer Inbrunst.

(Musik: Canon in D dur von Johann Pachelbel;  6 min)

(Eine düstere Zeit)    Lesen Luk 2, 1 - 5

"Es begab sich aber in jenen Tagen, dass vom Kaiser Augustus ein Befehl erging, dass der ganze Erdkreis sich einschätzen lassen sollte. Diese Schatzung war die erste und geschah, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Und es machten sich alle auf, sich einschätzen zu lassen, ein jeder in seine Stadt.  Auch Joseph ging von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem heisst, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich mit Maria, seiner Verlobten, die schwanger war, einschätzen zu lassen."

In dieser schwere Zeit macht sich ein Mann mit seiner schwangeren Frau auf einen beschwerlichen Weg. Joseph von Nazaret muss seine Untertanenpflicht gegenüber Rom erfüllen. Sein Heimatort ist Bethlehem. Er hat dort Familienbesitz. Deshalb muss er sich dort in die Steuerlisten eintragen lassen. Wenn wir schon in unserem eigenen Land nur ungern Steuern zahlen, wie muss das für Joseph gewesen sein, der sein Geld einer Besatzungsmacht abzuliefern hatte? Die Stimmung des Paares dürfte eher gedrückt gewesen sein und ihre Stimmung steht stellvertretend für die Stimmung eines ganzen Volkes.

"Vor sechs Jahren (hatte ich) einmal eine Panne in der Wüste Sahara. Etwas an meinem Motor war kaputt gegangen. Und da ich weder einen Mechaniker noch Passagiere bei mir hatte, machte ich mich ganz allein an die schwierige Reparatur. Es war für mich eine Frage auf Leben und Tod. Ich hatte kaum für acht Tage Trinkwasser."

Symbolisch steht die Wüste für eine extreme Lebenssituation. In der Wüste erlebt der Mensch sich selber und damit Gott in sich. Oft gingen Menschen freiwillig in die Wüste. Die Wüste war und ist ein Ort der Offenbarung. In der Lebensfeindlichkeit der Wüste offenbart sich neues Leben. In der Sprache des Glaubens heisst das: In der Wüste offenbart sich Gott. Aber zuerst gilt es, sich in der Wüste zu behaupten. Wir können sagen: Der Weg zum neuen Leben führt unmittelbar und unausweichlich durch die Wüste, durch Entbehrungen, durch Versuchungen, durch Angst ... Das ging Mose so und das ging auch Jesus so. Das geht allen Menschen so, die vor einer existentiellen Lebenswende stehen. Auch für Antoine de Saint-Exupéry wird die Wüste zum Ort der Offenbarung.

(Ein Licht kommt in die Dunkelheit) Lesen: Luk 2, 6 - 7

"Es begab sich aber, während sie dort waren, da vollendeten sich die Tage, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil sie in der Herberge keinen Platz fanden." (Bild links: Jesu Geburt auf dem Langenbergaltar in der St.-Johannes-Kirche in Wesel-Bislich)

Mitten in eine belastende Situation politischer Machtspiele und in die Gleichgültigkeit und Gefühlskälte einer mit sich selbst beschäftigten Menschheit hinein wird das Jesuskind geboren. Es erscheint wie ein Licht in der Dunkelheit. Noch weiss niemand, was seine Existenz für die Menschen bedeuten wird, aber das Licht der Welt ist auch schon Licht, wenn noch niemand es zu sehen vermag. Das Kind ist schon Hoffnungsträger, auch wenn das noch kein Mensch erkennen kann.

"Am ersten Abend bin ich also im Sande eingeschlafen, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt. Ich war viel verlassener als ein Schiffbrüchiger auf einem Floss mitten im Ozean. Ihr könnt euch daher meine Überraschung vorstellen, als bei Tagesanbruch eine seltsame kleine Stimme mich weckte: „Bitte... zeichne mir ein Schaf!""

Mitten in die fast hoffnungslose Situation hinein erscheint ein Kind. Wäre da nicht diese spezielle Situation, wir würden das Ereignis kaum erwähnen. Aber hier, abseits jeder Normalität, gewinnt das Ereignis eine besondere Bedeutung. Plötzlich keimt Hoffnung auf - wider jede Vernunft. „Zeichne mir ein Schaf!“ Gerade wollen wir uns stirnerunzelnd abwenden: „Ich habe jetzt wirklich andere Sorgen!“ Doch wir täten vielleicht gut daran, der scheinbar paradoxen Bitte des Kindes nachzukommen. Vielleicht liegt gerade darin der Schlüssel zu einer neuen Erfahrung, einer Erfahrung, die uns die ausgetrampelten Lebenswege verlassen lässt, uns aufbrechen lässt zu neuen Horizonten.

Lesen: Luk 2, 8 - 12

"Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde, die hielten Nachtwache über ihre Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen, und Lichtglanz des Herrn umleuchtete sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher der Christus ist, der Herr, in der Stadt Davids. Und das sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend."

Würden wir heute die Ankunft des göttlichen Kindes noch erspüren? Die Verkündigung der Engel erscheint uns als ein unüberhörbares Signal. Aber vergessen wir nicht: Engel sind leise Wesen. Sie bekommen erst eine hörbare Stimme, wenn es Menschen gibt, die ihnen eine hörbare Stimme geben. Damit Engel zu uns sprechen können, muss es Menschen geben, die sie hören und das Gehörte weitertragen!

Es sind im Lukas-Evangelium Aussenseiter der Gesellschaft, etwas eigenbrötlerische, nach Rauch, Schweiss und Schafen stinkende Hirten, die als erste die leise Botschaft der Engel hören und diese Botschaft zu einem Jubel der Hoffnung und der Freude werden lassen. In ihrer Hoffnung nimmt die Hoffnung, die das Kind vermittelt, Gestalt an! Ja, das Kind ist Träger von Hoffnung, doch was wäre diese Hoffnung, wenn sie von niemandem erkannt und aufgenommen würde? Gott schenkt uns die Gnade, aber es ist an uns, sie anzunehmen und etwas aus ihr zu machen.

(Musik: Adagio für Streicher und Orgel von Tomaso Albinoni: 3 min)

"Ich schaute mir die Erscheinung mit grossen, staunenden Augen an. Vergesst nicht, dass ich mich tausend Meilen abseits jeder bewohnten Gegend befand. Auch schien mir mein kleines Männchen nicht verirrt, auch nicht halbtot vor Müdigkeit, Hunger, Durst oder Angst. Es machte durchaus nicht den Eindruck eines mitten in der Wüste verlorenen Kindes, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend. Als ich endlich sprechen konnte, sagte ich zu ihm: „Aber... was machst denn du da?" Da wiederholte es ganz sanft: „Bitte... zeichne mir ein Schaf..." Wenn das Geheimnis zu eindrucksvoll ist, wagt man nicht zu widerstehen. So absurd es mir erschien - tausend Meilen von jeder menschlichen Behausung und in Todesgefahr -, ich zog aus meiner Tasche ein Blatt Papier und eine Füllfeder.

Das Männchen schaute aufmerksam zu, dann sagte es: „Nein! Das ist schon sehr krank. Mach ein anderes.“ Ich zeichnete. Mein Freund lächelte artig und mit Nach¬sicht: „Du siehst wohl... das ist kein Schaf, das ist ein Widder. Es hat Hörner..." Ich machte also meine Zeichnung noch einmal. Aber sie wurde ebenso abgelehnt wie die vorigen: „,Das ist schon zu alt. Ich will ein Schaf, das Iange lebt." Mir ging die Geduld aus, es war höchste Zeit, meinen Motor auszu¬bau¬en, so kritzelte ich diese Zeichnung da zusammen und knurrte dazu: „Das ist die Kiste. Das Schaf, das du willst, steckt da drin." Und ich war höchst überrascht, als ich das Gesicht mei¬nes jungen Kritikers auf-leuchten sah: „Das ist ganz so, wie ich es mir gewünscht habe. Meinst du, dass dieses Schaf viel Gras braucht?" „Warum ?" „Weil bei mir zu Hause alles ganz klein ist...“ „Es wird bestimmt ausreichen. Ich habe dir ein ganz kleines Schaf geschenkt." Er neigte den Kopf über die Zeichnung: „Sieh nur! Es ist eingeschlafen ...“ So machte ich die Bekanntschaft des kleinen Prinzen."

Das Geheimnis des Kindes beginnt sich dort zu offenbaren, wo wir - gegen jede Vernunft - bereit sind, uns auf das Kind einzulassen. Die Geschichte zeigt uns, wie wenig es braucht - etwas Zeit und guten Willen - damit sich uns plötzlich eine ganz andere Welt offenbart. Diese neue Welt ist nicht von Leistungsdenken, von Perfektionismus und Rationalismus geprägt. Das Kind ist ein Kritiker des Inhaltes, nicht der äusseren Form. Sein Glück ist erreicht mit dem Bild einer Schachtel, denn die Schachtel ist nur noch Inhalt! Damit lehrt das Kind uns das zu sehen, was dem rationalen Denken verborgen ist. Das rationale Auge sieht nur eine Schachtel. Das seelische Auge sieht darin das ersehnte Schaf und: „Schau, es schläft!“ „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagte einst ein grosser christlicher Mystiker.

(Musik: Oboe Concerto in D moll von Tomaso Albinoni; 2 min)

Wie das Jesuskind hat auch der kleine Prinz eine lange Reise hinter sich. Sein Erscheinen hat zu tun mit unserer Menschheitsgeschichte. Wären wir alle (innerlich) freie Menschen in einem paradiesischen Zustand, so brauchten wir keine erlösende Hoffnung und damit auch kein göttliches Kind. Hätte nicht Antoine de Saint-Exupéry in irgendeiner Wüste gesessen, verzweifelt, allein, in Todesangst, der kleine Prinz wäre nie erschienen.

Auf seinem Weg zur Erde ist der kleine Prinz durch alle Niederungen menschlichen Seins gegangen: Er ist auf einem Planeten einem König begegnet, der Menschen nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als Untertanen wahrnehmen kann. Auf einem anderen Planeten ist er einem Eitlen begegnet, dessen Bewunderung des Schönen zu einer lächerlichen Selbstbespiegelung geworden ist. Auf dem vierten Planeten hat er einen Säufer kennengelernt, der sein Selbstmitleid in Alkohol konserviert. Auf dem fünften Planeten lebte ein Geschäftsmann, der meinte, Mond und Sterne verkaufen zu können. Den sechsten Planeten bewohnte ein Laternenanzünder, dem der Sinn seiner schönen Tätigkeit abhanden gekommen ist und der nur noch mechanisch seinen Job ausführt. Auch der Geograph auf dem sechsten Planeten vermochte den kleinen Prinzen nicht zu überzeugen. Wissenschaftlich war er zwar redlich - aber jemand, der die Welt nur von Bildern und Berichten kennt und es nicht als nötig erachtet, seinen Schreibtisch zu verlassen, ist doch ein sehr eigenartiger Mensch. „Les grandes personnes sont décidément tout à fait extraordinaires!“

Durch all diese Offenbarungen menschlicher Eitelkeit, Dummheit, Borniertheit und Unmenschlichkeit aber auch Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit musste auch das Jesuskind gehen, bevor es in Bethlehem zur Welt kommen konnte. Die Geschichte des göttlichen Heils ist eng mit der Geschichte des menschlichen Unheils verbunden.

"Der siebente Planet war die Erde. Die Erde ist nicht irgendein Planet! Man zählt da hundertelf Könige, wenn man, wohlgemerkt, die Negerkönige nicht vergisst, sieben¬tausend Geographen, neunhunderttausend Geschäftsleute, siebeneinhalb Millionen Säufer, dreihundertelf Millionen Eitle, kurz - ungefähr zwei Milliarden erwachsene Leute."

Ein Kind lehrt uns neues Sehen

"Während der kleine Prinz noch in seinen Gedanken versunken war erschien ein Fuchs: „Guten Tag", sagte der Fuchs. „Guten Tag", antwortete höflich der Prinz, der sich umdrehte, aber nichts sah. „Ich bin da", sagte die Stimme, „unter dem Apfelbaum. . . " „Wer bist du?" sagte der kleine Prinz. „Du bist sehr hübsch..." „Ich bin ein Fuchs", sagte der Fuchs. „Komm und spiel mit mir“, schlug ihm der kleine Prinz vor. „Ich bin so traurig...“ „Ich kann nicht mit dir spielen", sagte der Fuchs. „Ich bin noch nicht gezähmt!" „Ah, Verzeihung!“ sagte der kleine Prinz. Aber nach einiger Überlegung fügte er hinzu: „Was bedeutet das, „zähmen“ ?" „Du bist nicht von hier", sagte der Fuchs, „was suchst du?" „Ich suche die Menschen", sagte der kleine Prinz. „Was bedeutet ,zähmen' ?" „Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schiessen. Das ist sehr lästig. Sie ziehen auch Hühner auf. Das ist ihr einziges Interesse. Du suchst Hühner?" „Nein", sagte der kleine Prinz, „ich suche Freunde. Was heisst ,zähmen' ?" „Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache", sagte der Fuchs. „Es bedeutet: ‘sich vertraut machen’“. „Vertraut machen?" „Gewiss", sagte der Fuchs.

„Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt..." „Ich beginne zu verstehen", sagte der kleine Prinz. Der Fuchs kam aus seinen Gedanken zurück: „Mein Leben ist eintönig. Ich jage Hühner, die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander, und alle Menschen gleichen einander. Ich langweile mich also ein wenig. Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen andern unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Und dann schau! Du siehst da drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen."

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an: „Bitte... zähme mich!" sagte er. „Ich möchte wohl", antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen." „Man kennt nur die Dinge, die man zähmt", sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!" „Was muss ich da tun?“ sagte der kleine Prinz. „Du musst sehr geduldig sein", antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich verstohlen, aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können...""

In vielen Märchen sind es Tiere, die den Menschen zur Wahrheit führen. Hier ist es der Fuchs, der den kleinen Prinzen in das Geheimnis des Lebens einweiht. Man muss die Dinge zähmen, d.h. sich „vertraut“ machen, die im Leben wichtig werden sollen. Aber sich etwas oder jemanden vertraut machen heisst nicht, über ihn herfallen und ihn sich gefügig machen. Vertrautheit gewinnt man in der stillen, aufmerksamen Betrachtung, in der Geborgenheit, in der das Gegenüber mehr und mehr sein Wesen offenbaren kann. Sich jemanden vertraut machen heisst, mit den Augen der Seele tief in die Seele des anderen schauen und das Geschaute in Liebe in sich aufnehmen. Es heisst aber auch, sich selber dem Blick des anderen öffnen. Tief in der Seele liegen die Geheimnisse der Menschen und der Welt. Da aber die tiefsten Tiefen der Seele unergründlich sind, wird auch immer ein Rest von Geheimnis bleiben.

(Musik: Violin Concerto in A dur von Max Bruch; 3 min)

"Am nächsten Morgen kam der kleine Prinz zurück. „Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen", sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll... Es muss feste Bräuche geben." „Was heisst ,fester Brauch' ?" sagte der kleine Prinz. „Auch etwas in Vergessenheit Geratenes", sagte der Fuchs. „Es ist das, was einen Tag vom andern unterscheidet, eine Stunde von den andern Stunden. Es gibt zum Beispiel einen Brauch bei meinen Jägern. Sie tanzen am Donnerstag mit den Mädchen des Dorfes. Daher ist der Donnerstag der wunderbare Tag. Ich gehe bis zum Weinberg spazieren. Wenn die Jäger irgendwann einmal zum Tanze gingen, wären die Tage alle gleich und ich hätte niemals Ferien.""

Zum Vertrautsein gehört also auch das stets Wiederkehrende. Es fördert nicht nur die vertiefte Betrachtung, sondern führt zu einer inneren Einstellung, zu einer freudigen E-wartung des Wiederkehrenden. In dieser Tradition des freudigen Erwartens steht die Adventszeit. Im Sinne des stets Wiederkehrenden feiern wir das Weihnachtsfest jedes Jahr wieder neu mit den gleichen alten Bräuchen und Geschichten. Und es ist die in der Seele aufglimmende innere Wärme, die in dieser kalten Winterzeit, in den Menschen Gefühle von Vertrautheit, Geborgenheit und kindlicher Sehnsucht weckt. So kann die Feier der Geburt des Gotteskindes durch das alljährlich wiederkehrende weihnachtliche Brauchtum zu einer Quelle der inneren Ruhe, Hoffnung und Geborgenheit werden. In der jährlich wiederkehrenden Weihnachtsfeier können wir uns das Gotteskind „vertraut“ machen.

"So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war: „Ach!" sagte der Fuchs, „ich werde weinen." „Das ist deine Schuld", sagte der kleine Prinz, „ich wünschte dir nichts Übles, aber du hast gewollt, dass ich dich zähme..." „Gewiss", sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!" sagte der kleine Prinz. „Bestimmt", sagte der Fuchs. „So hast du also nichts gewonnen!" „Ich habe", sagte der Fuchs, „die Farbe des Weizens gewonnen.""

Nichts im Leben hat Bestand. Auch das, was wir uns vertraut gemacht haben, was uns lieb geworden ist -, eines Tages müssen wir es auch wieder loslassen. Der Abschied von einem geliebten Menschen oder einem geliebten Tier ist eine ganz besonders schmerzliche Erfahrung. Auch der Abschied von vertrauten Gewohnheiten kann uns schmerzlich berühren, der Abschied von unseren kindlichen Weihnachtsphantasien ebenso wie der Abschied von überholten Gottesbildern oder Ansichten und Überzeugungen, die uns einmal viel wert waren. Waren sie deshalb sinnlos? Der Fuchs bringt es auf den Punkt: „Ich habe die Farbe des Weizens gewonnen.“ Trotz des Verlustes bleibt etwas zurück, ein unauslöschlicher Eindruck in der Seele, eine Farbe, die auch in Zukunft alle unsere weiteren Erfahrungen und Erlebnisse mitfärben wird.

"Der kleine Prinz kam zum Fuchs zurück: „Adieu!“, sagte er... „Adieu", sagte der Fuchs. „Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken. „Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen", sagte der Fuchs. „Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast." „Ich bin verantwortlich...", wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken."

(Musik: Canon in D dur von Johann Pachelbel;  6 min)





 
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