DER METEORIT ENSISHEIM
Koordinaten: 47°'52' N, 7°21' Ost
Fall: Ensisheim, Elsass, 7. November 1492
Ordinärer Chondrit LL6 TKW: ca. 130 kg
7. November 1492: Gegen Mittag fällt ein Meteorit in ein Weizenfeld zwischen Ensisheim und Battenheim. Augenzeuge des Falls ist zunächst ein kleiner Hirtenjunge, der seine Schafe in der Nähe weidet. Er muss sich mächtig erschrocken haben, als sich der dreieckige, gut 130 kg schwere Stein praktisch „vor seinen Füssen“ einen Meter tief in den Boden bohrt.
„Ein grüsam Donnerschlag“ erschüttert die Mitte Europas. Es ist eine jener Erschütterungen, die typisch sind für die Wende des Mittelalters zur Neuzeit. Es ist eine Erschütterung, die tiefer geht und einen langen Nachhall hat in den Seelen und im Geist der Menschen. Es ist nicht so sehr das Ereignis selber, das Spuren hinterlässt, als vielmehr das, was dieses Ereignis auslöst. Auch die Tatsache, dass Kolumbus drei Wochen vor dem Meteoritenfall erstmals seinen Fuss auf Land jenseits des Atlantiks gesetzt hat, steht in keinem Verhältnis zu dem, was er dadurch ausgelöst hat.

Obwohl der Meteoritenfall viel Furore gemacht hat, ist er im Volk schon 10 Jahre später praktisch vergessen. In den Chroniken aber taucht er noch bis weit ins 16. Jahrhundert hinein immer wieder auf. Und er wird im 18. Jahrhundert keine unwesentliche Rolle bei der Geburt der modernen, wissenschaftlichen Meteoritenkunde spielen. Dass der Meteorit von Ensisheim über Jahrhunderte als ältester bezeugter Fall der Welt gegolten hat, von dem noch Material vorhanden ist, sei nur am Rande erwähnt, denn diesen Platz hat ihm im 20. Jahrhundert der Meteorit Nogata (Japan) streitig gemacht. Aber für Europa gilt der Titel immer noch. Wir schliessen daraus, dass nicht der eigentliche Fall des Meteoriten die Sensation war, sondern seine Rezeption (Aufnahme) durch die Gelehrten der Zeit. Sebastian Brant hat daraus politisches Kapital geschlagen, für Johann Wolfgang von Goethe ist er ein Objekt des Zweifels und der Bewunderung gewesen (zuerst hat er sich über die Herkunft des „Himmelssteins“ lustig gemacht, schliesslich hat er selber mindestens ein Fragment des Meteoriten von Ensisheim in seiner Sammlung gehabt). Und auch Namen wie Kaiser Maximilian I., Albrecht Dürer, Paracelsus, Ernst Florens Friedrich Chladni, Jules Verne… werden auf ewig mit diesem Meteoriten verbunden bleiben.

Auch wenn der Meteorit von Ensisheim nicht mehr das ist, was er einmal war, ist er doch ein imposanter Brocken geblieben. Verbriefte 53 kg 831 g kriegt er heute noch auf die Waage von den ursprünglich knapp 130 kg. Der Rest ist in den Museen und privaten Sammlungen der Welt verstreut.
Dass ihm heute nichts mehr passiert, darüber wachen die „Gardiens de la Météorite d’Ensisheim“, die „Meteoritenwärter von Ensisheim“. Ohne ihre Begleitung verlässt der Meteorit seine Heimat nicht mehr und wenn sie ihn fortgeben, bringen sie ihn auch eigenhändig wieder zurück.
Der Meteorit ist heute zentrales Ausstellungsstück des kleinen regionalen Museums im Palais de la Régence, dem Regierungsgebäude im Zentrum von Ensisheim. Die Meteoritenwärter fördern weit über den Meteoriten hinaus das kulturelle Leben in und um Ensisheim.

Der Meteorit Ensisheim gehört zu den historischen Meteoriten, was ihn auch besonders wertvoll macht. Rund 600$/g ist heute der Marktwert. Manchmal hat man das Glück, noch ein Stückchen davon zu erhaschen. Aber Vorsicht ist geboten! Es kann vorkommen, dass ein „Saint Séverin“ - auch ein Ordninärer Chondrit LL6 - als wesentlich wertvollerer „Ensisheim“ ausgegeben wird. Ich selber besitze zwei kleine Stücke (ein drittes, ganz kleines ist verschollen). Ihre Herkunft ist durch ein Transferzertifikat des Musée d’Histoire Naturelle in Paris belegt. Der Pionier der Meteoritenforschung, Friedrich Florens Chladni (1756 - 1827), hat ein schönes Stück von mehr als einem Pfund besessen, das heute Teil der Wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität, Berlin ist.
Die L- und LL-Chondrite gehören zur häufigsten Meteoritenklasse auf der Erde. Viele L-Chondriten sind stark geschockt. Sie weisen ausgeprägte Schockvenen auf, was seinerseits auf eine dramatische Herkunftsgeschichte hinweist, auf die wir noch zu sprechen kommen werden.

Bei den LL-Chondriten wurden bisher die grössten Chondren (auch Chondrulen; Schelzkügelchen aus dem Urnebel des Sonnensystems) innerhalb der Ordinären Chondriten gefunden, bis zu einem Millimeter im Durchmesser. Da LL6-Chondriten aber dem petrologischen Typ 6 angehören, haben sie eine Erhitzung bis 950°C erfahren (Silikate werden ab ca. 1‘000 °C völlig aufgeschmolzen) und eine entsprechende Wärme-Umwandlung (thermische Metamorphose) durchgemacht. Das zeigt sich darin, dass die Mineralien dieser Meteoriten sich relativ homogen verteilen und dass viele ihrer Chondren verschwunden und die noch vorhandenen oft nicht besonders deutlich sichtbar sind.
LL-Chondriten enthalten 19–22% Gesamteisen (frei und in Verbindungen) und nur 0.3–3% metallisches Eisen (in Form sichtbarer Eisenkörner).
Das meiste Eisen ist als Oxid (FeO) in den Si¬likaten des Meteoriten gebunden. Das Silikat Oli¬vin besteht zur Hauptsa¬che aus dem Mischkristall Forsterit (Mg2[SiO4])/Fayalit (Fe22+[SiO4]), wobei wir bei den LL-Chondriten einen Anteil von 26 bis 32 mol% Fayalit (Fa) finden. Die am üppigsten vorkommenden Mineralien sind Hypersthen (ein Pyroxen) (Fe,Mg)2[Si2O6] und Olivin (Mg,Mn,Fe)2[SiO4]. Andere vorkommenden Minerale sind das schon erwähnte Eisen, das ausschliesslich als Nickeleisen (Fe, Ni) auftritt, Troilit (FeS), Feldspat (Al,B,Si)4O8, feldspatische Gläser, Chromite (Fe2+Cr2O4 ) und Phosphate.
Als Mutterkörper dieser Meteoritengruppe wird auf Grund von vergleichenden Reflexionsspektren der Asteroid 433 Eros und/oder 8 Flora (oder die ganze Flora-Familie) vorgeschlagen. Das “ordovizische Meteorereignis“ („Ordivician meteor event“) vor rund 500 (470 ± 6) Millionen Jahren (das ist die Zeit, in der auf der Erde in der Evolution die ersten Fische erschienen) scheint den Ursprung dieser Meteoriten zu markieren.
Die Bruchstücke der an einer gewaltigen Kollision beteiligten Asteroiden wurden nachher in erdbahnkreuzende Umlaufbahnen geschleudert. Kreuzt der Meteoroid (so heisst der Meteorit, solange er noch im Weltall ist) die Erdbahn zu dem Zeitpunkt, an dem sich auch die Erde dort befindet, gerät er u. U. ins Schwerefeld der Erde und stürzt ab. Auf Grund dieser Kollisionsgeschichte sind viele L- und LL-Chondriten stark geschockte Brekzien (ehemals hohem Druck ausgesetzte, scharfkantige Trümmergesteine). Auch die Flora-Familie dürfte vor 1‘000 - 500 Millionen Jahren im gleichen oder einem ähnlichen Ereignis entstanden sein. Die Asteroiden, die zu ihr gehören, werden dem S-Typ zugeordnet.
S-Astroiden stellen mit einem Anteil von 17% Prozent den zweithäufigsten Asteroiden-Typ dar und kommen hauptsächlich im inneren Bereich des Hauptgürtels vor. Der Buchstabe S steht für „Silikat“. S-Asteroiden besitzen eine relativ helle Oberfläche mit einer Albedo (lat. „Weissheit“; Rückstrahlvermögen) von 0,15 bis 0,25. Der Mutterkörper der Flora-Familie muss einen Durchmesser von über 100 km gehabt haben. Der grösste Asteroid heute, 1 Ceres, ist mit einem Durchmesser von 975 km gut zehnmal so gross.
Meine Ensisheim
I : Masse: 4 x 3 x 2 mm
Gewicht: 309 mg
II: Masse: 10 x 4 x 2 mm
Gewicht: 470 mg
Händler: Southern Minerals Meteorites & Fossils
Miami, FL 33166 USA
IMCA 0645
Mile High Meteorites Collection
Lakewood, CO 80215 USA