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Die Welt der Kartäuser

RELIGION / PHILOSOPHIE > Die alte Kartause (Kartause Ittingen im Thurgau)



Die alte Kartause

Die Welt des Kartäusers

Die Weltanschauung eines Menschen, der seinen Weg in der Abgeschieden­heit sucht, muss sich grundlegend von unserer modernen Lebensanschauung unterscheiden, oder zumindest die Schwerpunkte seiner Wertvorstellungen anders setzen. Der Kampf, den der Mensch tagtäglich nach aussen ficht, wird nun primär im eigenen Innern ausgefochten. Verstehen kann man diesen Weg wohl nur aus der mystischen Weltsicht. Das grie­chische "myeïn" meint das sich schliessen von Augen und Lippen. Dadurch wird der Blick "nach innen" gewendet und eröffnet in einem meditativen Schauen neue Wirklichkeiten, die sich von einer rationalen Weltsicht radikal unterscheiden.



Chartreuse La Valsainte, Fribourg, Gesamtansicht, Mönchszelle und Friedhof


Im Leben des Kartäusers ist der "Weg" vom "Ziel" klar unterschieden. Der "Weg" ist das Schaffen von Voraussetzungen, um zum Ziel zu gelangen. Das Ziel heisst "Gott" und ist wohl am ehesten in einer "Unio mystica" (18) zu sehen. Der Weg zur Unio mystica führt über die Selbstaufgabe, eine extreme Relativierung der körperlichen und materiellen Bedürfnisse. Durch das Abtöten der körperlichen Bedürfnisse wird Raum geschaffen für eine gottzugewandte Spiritualität. Dieses "Einswerden mit Gott" als höchstes Ziel kartäusischen Strebens kann wohl im Sinne der Gottessohnschaft Jesu verstanden werden.

Der Weg des Kartäusers beginnt mit der "Kartäuserbusse". Die strengen Ordensregeln und die Einsamkeit sollen alle persönlichen Bedürfnisse abtöten. Das Mönchsgelübde der Armut, Keuschheit, des Gehorsams und des ewigen Schweigens unterstützen diesen Weg. "Das wichtigste am Dialog ist das Schweigen, die Bereitschaft, sich jenseits der Worte zu treffen." Diese Grundlagen der "Vita unitiva", des Lebens in der Verbindung zu Gott, verlangt grosse persönliche Opfer. Es enspricht auch keineswegs mehr unserem modernen Ideal von Selbstverwirklichung. Trotzdem aber sind Kartäuser keineswegs Marionetten im Dienste ihrer Sache! Der asketisch­mystische Weg ist rational nicht zu fassen, und damit auch unerklärbar. Hat ein Mönch nach langen Jahren der Exezizien endlich den Punkt erreicht, wo jeder Kartäuser hingelangen sollte, regieren sein Leben Busse, Kontemplation und demutsvoller Gehorsam, sind seine Übungen nicht mehr ein tägliches Muss, sondern ein inneres Bedürfnis. "Deus solus quaeratur in perfecta solitudine." (19) Die freiwerdenden Energien können als Triebkräfte in einer intensiveren Gottesbeziehung sublimiert werden. Die vielzitierte "Selbstheiligung" des Kartäusers ist kein Ziel. Sie ist das Nebenprodukt des kartäusischen Strebens hin zu Gott. Die Selbstheiligung (und damit "Selbstheilung") ist wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit der kartäusischen Fürbitte. "Was ihr in meinem Namen erbittet, das werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird" (Joh 14,13). Aber nur wer mit sich selber im Reinen ist, kann voll und ganz für andere einstehen. "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, erhöre meine Stimme!" (Ps 130). Diese Tiefe zu er­reichen, aus der der Ruf des Menschen zu Gott gelangt, ist ein Streben des Kartäusers, dem er sich zeitlebens hingibt. Da Gott ihn und er Gott in der Tiefe erreicht, hat er mit der Tiefe eigentlich alles erreicht, was für ihn zu erreichen ist.

Der Weg des Kartäusers führt oft bis an den Rand der körperlichen Widerstandskraft. Es sind auch nicht viele, die diesen Weg zu Ende gehen. In einem fortgeschrittenen Stadium strahlen diese Mönche aber eine solch ausgeglichene innere Zufriedenheit aus, dass es schwer ist, nicht in ihren Bann gezogen zu werden. Der Mönch lebt von seiner inneren Wärme. Stellen wir uns den mitternächtlichen Gottesdienst im Winter in einem ungeheizten, eiskalten Kirchenschiff vor. Während der Besucher nur mühsam sein Zähneklappern unterdrücken kann, singen die Mönche mit klarer Stimme ihre Antiphone, Responsorien (20) und Psalmen zur höchsten Ehre Gottes. "Deus ignis consumens est." (21) Das Wort von Gottes Liebe aus Joh 3,16 und das Bild des verlorenen Sohnes aus Luk 15, 11ff liegen dem Kartäuser besonders am Herz. Wo Menschen in Reue über ihre Sünden zurückkehren zum Vater rechtfertigt sich die Schöpfung vor Gott. Der Kartäuser ist bereit, diesen Weg zu gehen und in ihm die grenzenlose Liebe Gottes zu erfahren. Es sind nicht die Mächtigen, die die Welt aufrechterhalten. Es sind die stillen Gebete der Gläubigen.

Die Mönche verstehen sich als Vorhut der Gläubigen, die durch ihr ständiges Gebet an­deren Menschen zum Vorbild werden. Die Welt des Kartäusers ist die Abgeschiedenheit von der Welt, aber in dieser Abgeschiedenheit ist er eins mit der Welt. Wenn der Kartäuser stirbt, verlässt er diese Welt nicht in einem Sarg. Den Sarg hat er zeitlebens in seinem kastenartigen Bett gehabt, in das er sich jeden Abend eingeschlossen hat, wenn er sich auf seinem Strohsack zur Ruhe legte (22). Nach seinem Tod wird er in seinem weissen Ordensgewand auf einem Brett liegend in die Erde versenkt. Dann versammeln sich die Mitbrüder zu einem schlichten Freudenmahl im Refektorium, denn für den Kartäuser ist der Heimgang zu Gott ein freudiges Ereignis, auf das er sich zeitlebens vorbereitet. Noch am gleichen Tag wird ein frisches Grab ausgehoben für den nächsten Bruder, der heimgehen wird. So erlischt das "Memento mori" (23) nie, das "Memento mori", das dem Kartäuser Gruss, Bewusstsein, Lebenshaltung und Lebenshilfe ist. Alles Irdische muss sterben, auch der Mensch, wohl ihm, wenn er darauf vorbereitet ist.

18            spirituelle Vereinigung mit Gott
19            "Den alleinigen Gott suchen sie in absoluter Abgeschiedenheit."
20            kirchlich-liturgische Wechselgesänge
21            "Gott ist die verzehrende Flamme."
22            Heute wird die Bettnische mit einem Vorhang verschlossen.
23            "Gedenke des Todes"






 
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