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GS 3 - 1100 Zeitalter der Revolutionen - Einführung

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REVOLUTIONEN   GS 3 - 1100

Das Zeitalter der Revolutionen (2. Hälfte 18. Jahrhundert) – Einführung

Ein neues Menschenbild – wirklich neu?

Die Revolutionen des 18. Jahrhunderts haben das Menschsein in der westlichen Welt grundlegend verändert. Nachher ist kaum mehr etwas wie vorher. Aufgeräumt wird grundsätzlich mit der mittelalterlichen Ständegesellschaft. Der Begriff „Stand“ verliert mehr und mehr an Bedeutung. Die Geburt in einen Stand hinein ist nicht mehr lebensbestimmend. Nicht einmal mehr der König kann sich ausschliesslich auf seinen Stand berufen. Dass Friedrich der Grosse von Preussen sich „Erster Diener des Staates“ nennt, wäre hundert Jahre zuvor nicht denkbar gewesen. Welch ein Gegensatz zu Ludwig XIV. Ausspruch. „Der Staat bin ich“!

Zwar ist die Monarchie weitgehend noch eine unbestrittene Grösse (die Menschen kennen nichts anderes!), aber ein Bewusstsein, dass es auch ohne Monarchen gehen könnte, dass das Volk die Wahrung seiner Rechte in einer Republik selber übernehmen könnte wird stärker und stärker. Grundlage für dieses Denken und das neue Menschenbild ist die Aufklärung. Träger dieses neuen Denkens ist vor allem das aufgeklärte Bildungsbürgertum. Doch erstaunlicherweise finden wir auch im Adel mehr und mehr Leute, die merken, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Erstaunlich deshalb, weil das Bürgertum durch die Aufklärung nur gewinnen, der Adel aber eigentlich nur verlieren kann (er muss auf Privilegien verzichten).

Was auch relativ neu ist, ist das langsame Aufkeimen des nationalen Gedankens. Ansätze zu einem Nationalgefühl hat es schon im Hundertjährigen Krieg gegeben. Damals wollte man sich, wenn man sich als „Franzose“ bezeichnete, von den Engländern abheben. Doch jetzt geht das Nationalgefühl noch einen Schritt weiter. Viele Leute verstehen sich nicht mehr als Untertanen eines Königs, sondern als Nation, d. h. von Geburt aus einer Sprache, Kultur, einem Land und den Menschen, die darin leben zugehörig. Besonders nach Napoleon wird dieses Nationalgefühl in voller Stärke ausbrechen und nicht nur positive Auswirkungen auf die Geschichte haben. Einerseits einigt das Nationalgefühl, aber es schliesst auch aus, nämlich alle, die eben nicht zu dieser „Nation“ dazugehören, die sich in Kultur, Sprache, Aussehen... unterscheiden

Auch der Begriff „Individuum“ und die Wahrnehmung der individuellen Rechte ist eine neue Dimension im Leben der Menschen. Sie zieht nicht nur den Schutz des Einzelnen nach sich, sondern erlaubt ihm auch, sich seinen Fähigkeiten gemäss (und nicht mehr nur seinem Stand gemäss) zu entwickeln. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sind die Ideale der Revolution. Um diese individuellen Freiheiten allen zugänglich zu machen, muss auch die Bildung allen zugänglich gemacht werden. Zwar lässt die allgemeine Schulpflicht noch bis ins 19. Jahrhundert auf sich warten, der Keim des Bewusstseins ist aber gelegt, dass ein mündiger Bürger nur ein gebildeter Bürger sein kann.

Wie so oft im Leben klaffen die Ideale der Revolution und die Wirklichkeit bald weit auseinander. Zwar werden die Stände abgeschafft, d. h. aber nicht, dass jetzt alle Menschen gleich wären. Es gibt nach wie vor Menschen die tüchtiger und erfolgreicher sind als andere, Leute, die die Gegebenheiten besser oder schlechter zu nutzen wissen. Aus diesem Grund wird aus der Ständegesellschaft bald eine Klassengesellschaft. Dabei bezeichnet der Begriff Klasse eine Gruppe von Menschen, die sich durch gemeinsame, insbesondere ökonomische Merkmale (Kapital, Geld) auszeichnen. Innerhalb der Klasse bildet sich ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl oder Klassenbewusstsein, das – wie bei der Ständegesellschaft – Andersartige ausschliesst.

Auch wenn nicht mehr primär die Herkunft (Geburt) über die Klassenzugehörigkeit entscheidet, sondern vielmehr das Kapital, das man hat oder nicht hat, bleiben die Klassen doch meist an die Geburt gebunden. D. h. in den meisten Fällen: Das Kind des Arbeiters wird wieder Arbeiter sein, der Sohn des Unternehmers Unternehmer.

Spätestens hier ist es also wieder vorbei mit den revolutionären Ideen von Gleichheit und Brüderlichkeit. Auf der einen Seite ist die Klasse der Herrschenden, zu denen die Unternehmer gehören, auf der anderen Seite die weitgehend besitzlose Klasse der Arbeiter (Proletarier). Dieses Thema wird uns im Kapitel „Industrielle Revolution“ noch eingehender beschäftigen

Zur Geschichte der Revolutionen

Dass die Geschichte der Revolutionen in Nordamerika beginnt, ist leicht nachzuvollziehen. Hier leben Menschen verschiedenster Herkunft, der König ist weit weg und oft genug ist der König der Grund, warum die Leute nicht mehr in ihrer Heimat sind (die ersten Kolonisten sind Glaubensflüchtlinge!). Die Kolonisten entwickeln schon früh ein Gefühl der Eigenständigkeit, die ganz gut ohne die ferne Macht auskommt, deren Hauptinteresse nur darin besteht, aus den Kolonien möglichst viel Geld herauszuholen für Zwecke, von denen die Kolonien nichts haben. Zwar braucht man die Engländer in Neuengland vorläufig noch, um die Franzosen in Schach zu halten, aber es ist bezeichnend: Kaum sind die Franzosen weg, richtet sich der Widerstand der Kolonisten gegen die ehemaligen Verbündeten und führt zur amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, die schliesslich im Unanbhängigkeitskrieg und in der Gründung der Vereinigten Staaten mündet.

Dass England von der Revolution des ausgehenden 18. Jahrhunderts verschont bleibt, ist auch klar. England hat seine Probleme im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft schon gut hundert Jahre früher in der Glorious Revolution bereinigt. Die Struktur der konstitutionellen Monarchie zeigt Bestand.

In Frankreich kommen verschiedene Faktoren zusammen, die schliesslich die Lage ausser Kontrolle bringen. Einmal sind es die absolutistischen Herrscher beginnend mit Ludwig XIV. über Ludwig XV. zu Ludwig XVI., die der horrenden Staatsverschuldung nicht Herr werden. Dazu kommen Missernten mit Hungersnöten, Teuerungen, Willkür in der Verwaltung, Steuerexzesse (überrissene Steuern)… Das Leben am Hof unterscheidet sich dermassen offensichtlich vom Leben der Landbevölkerung (die mit gut 75% immer noch die Mehrheit ausmacht): Dort verschwenderischer Überfluss, hier bitterste Not…  Der grösste Teil der Bevölkerung ist nicht ins Wirtschaftssystem des Merkantilismus eingebunden und trägt praktisch nur die Nachteile des Systems.
Daneben stehen die Aussagen der aufgeklärten Philosophen: Das darf so nicht sein, das widerspricht jeder Menschlichkeit und jeder Vernunft. Weiter kommt dazu, dass Ludwig XVI. ein relativ schwacher Herrscher ist. Er ist zu gutmütig und will es allen recht machen, was nicht funktioniert. Zu oft lässt der die Zügel schleifen, wo er durchgreifen müsste, geht Kompromisse ein, die ihm letztlich nur schaden und versteht nicht, die Zeichen seiner Zeit zu deuten. Als sich die Walze der Revolution in Bewegung setzt, wird er zu ihrem Spielball und schliesslich zu ihrem tragischen Opfer.

Ausblicke auf das 19. Jahrhundert

Die Auswirkungen der Revolutionen am Ende des 18. Jahrhunderts auf die kommenden Jahrhunderte sind nicht hoch genug einzuschätzen. Letztlich wird hier das moderne Menschenbild geprägt, eine Gesellschaftsform begründet, die wegweisend für die Staatengründungen im 19. Jahrhundert sein wird. Die Überwindung der ständischen Strukturen ermöglicht das Aufkommen demokratischer Gesellschaftsstrukturen, ohne die die westliche Gesellschaft heute nicht mehr denkbar ist (die aber im Gegensatz steht zu den Gesellschaftsstrukturen vieler Länder ausserhalb Europas und Amerikas. Die Definition der Menschenrechte, die in der Zeit der Revolutionen ausgearbeitet wurde, sind auch heute noch Grundlage der westlichen Rechtsstaaten. Sie gewähren dem Bürger eine gewisse Sicherheit: Sicherheit, dass seine individuellen Bedürfnisse in einem gegebenen Rahmen beachtet werden, dass sein Leben und sein Besitz gesichert sind, dass er eine gewisse Freiheit geniesst und mit einer gewissen Gerechtigkeit (Gleichbehandlung vor Gericht) rechnen kann und vor allem, dass er in einem gewissen Mass über seine eigene Zukunft entscheiden kann.

So positiv das auch tönt, ist die Aussage über das Erbe der Revolution (in Blick auf das 19. Jahrhundert) mit Vorsicht zu geniessen. Wir haben schon auf die Bildung der Klassengesellschaft hingewiesen. Insofern sind an die Stelle der alten Probleme einfach neue getreten. Die Konflikte des 19. Jahrhunderts werden weitgehend Konflikte zwischen den Kassen (z. B. Arbeiteraufstände, Klassenkämpfe, Sozialismus und Kommunismus) sein zu denen sich dann noch die aufkeimenden nationalen Konflikte gesellen werden, die ihren Höhepunkt in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts haben werden.


 
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