Im 18. / 19. Jahrhundert findet ein markanter Wandel in der Gesellschaft statt. Der hat einerseits mit dem wissenschaftlichen Fortschritt seit der Aufklärung zu tun, andererseits mit der Beseitigung der feudalen Strukturen, mit dem Ende der Bindung des Bauern an einen Grundherrn. Bessere Gesundheit durch medizinische Fortschritte und die neuen Bürgerfreiheiten führen zu einem Innovationsschub, vor allem beim Bildungsbürgertum. Neue Feldbewirtschaftungsmethoden und die Einführung der Kartoffel als Grundnahrungsmittel verbesseren die Versorgung der Bevölkerung und führen u.a. zu einem markanten Bevölkerungswachstum. Da aber die Landwirtschaft immer noch der primäre Erwerbszweig ist, führt der Bevölkerungszuwachs zu einer Landverknappung, die durch die Industrialisierung noch verschärft wird, denn die Fabrikherren haben das Kapital, das verbleibende Land für den Bau ihrer Fabriken aufzukaufen.

Immer mehr Bauern geraten so in eine neue Abhängigkeit, diesmal von den Fabrikherren. Sie sind es, die die gestiegene Nachfrage nach Konsumgütern mit neuen Methoden abdeckten. Vor allem Textilien sind gefragt. Zu den neuen Methoden gehören die Mechanisierung der Arbeitsabläufe und die Rationalisierung der Arbeitsprozesse durch Aufteilung der Arbeit in viele einzelne Arbeitsschritte. Das hatte zur Folge, dass auch das handwerkliche Geschick und Können eines Handwerkers nicht mehr gefragt ist. Praktisch jeder kann in den einzelnen, monotonen Arbeitsschritte, die die Maschine nicht leisten kann, eingearbeitet werden. Der Arbeiter wird somit jederzeit ersetzbar. Zudem diktierten jetzt die Maschinen jetzt das Arbeitstempo. Das drückte auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes in doppelter Hinsicht. Zum einen bleibt Sicherheit am Arbeitsplatz lange ein Fremdwort. Ein verletzter Arbeiter ist schnell ausgewechselt. Aber auch im andern Sinn ist der Arbeitsplatz nicht sicher: Wer nicht mithalten kann, muss bald den Arbeitsplatz zu Gunsten eines anderen, der Arbeit sucht, räumen. Das drückt auch auf den Lohn. Da Gewinnmaximierung ein Grundsatz der industriellen Revolution und seiner Wirtschaft ist, und die Beschaffung und der Unterhalt von Maschinen teuer ist, werden die Arbeiterlöhne so tief wie möglich gehalten. Auf der einen Seite verbilligt die einsetzende Massenproduktion viele Konsumgüter, andererseits führt die gesteigerte Nachfrage nach Konsumgütern zu einer Verteuerung der Güter des täglichen Bedarfs, besonders bei Lebensmitteln und Wohnraum ... Durch die Verteuerung lebenswichtiger Güter leben viele Fabrikarbeiter in bitterer Armut (Pauperismus). Nicht zu reden von denen, die überhaupt keine Arbeit haben. Der Lohn reicht nicht zum Leben und ist zu viel zum Sterben. Meist muss die ganze Familie mitarbeiten, damit es reicht. Schutz durch Gewerkschaften und Versicherungen gibt es nicht, sie werden erst einiges später auf Druck der Arbeiterschaft eingeführt.
Schon die Kontinentalsperre hatte die Notwendigkeit ausgelöst, dass die Textilindustrie ihre Produkte auf dem Festland selber herstellen musste. In unseren Breiten braucht jeder Kleider. So ist es auch in der Textilindustrie, wo wir erste Veränderungen (Spinn- und Webmaschinen) finden. In der Frühindustrialisierung findet die Textilproduktion noch in Heimarbeit und im Verlagssystem statt. Später wird diese Produktion – mit dem Aufkommen dampfbetriebener Maschinen - mehr und mehr in Fabriken verlagert. Da der Bau von Fabriken teuer ist, spielte das Kapital (Geld) eine entscheidende Rolle. Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, bleibt ein armer Schlucker und wird durch die Entwicklung der Dinge eher noch ärmer. Die Textilindustrie ihrerseits gibt durch ihre Nachfrage nach immer besseren und schnelleren Maschinen der Maschinenindustrie einen Schub und sowie die Maschinen Räder bekommen, ist auch das Verkehrswesen geboren, zuerst auf der Schiene, später dann auch auf der Strasse.
Anfangs ist es so, dass England in der Entwicklung dem Festland gut 50 Jahre voraus ist. Aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts holt vor allem Deutschland in vielen Gebieten auf und überflügelt sogar die englische Produktion, besonders in der Maschinenindustrie. Und da Maschinen aus Eisen sind, wachsen auch der Bergbau, die Eisenverhüttung und die Schwerindustrie kräftig mit. Blicken wir schon etwas voraus, so ist dieser Umstand nicht unwesentlich für die Entwicklung des 1. Weltkriegs (Aufrüstung) zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Veränderungen in der Gesellschaft und im Leben der Menschen, die die Industrielle Revolution mit sich bringt, wird oft verglichen mit der Neolithischen Revolution um 5‘000 v. Chr., als der Mensch beginnt, sesshaft zu werden und von Jäger und Sammler zum Bauern und Viehzüchter zu werden. In den folgenden Jahrtausenden bleibt die Landwirtschaft der primäre Erwerbszweig. Die Zahl der Menschen, die so ernährt werden können, ist streng an die Produktivität der Landwirtschaft gekoppelt und die ist ihrerseits von vielen Faktoren abhängig, die nicht beeinflusst werden können (Klima, Witterung...). Die Leibeigenschaft bringt zudem mit sich, dass der Bauer wenig motiviert ist, an seinem schweren Schicksal etwas zu ändern und z.B. an der Verbesserung der Anbaumethoden zu arbeiten, um bessere Erträge zu erzielen. Er hat ja kaum etwas davon!
Das ändert sich mit der Aufklärung grundlegend. Die neuen Freiheiten der Menschen bringen Bewegung in die Lebensbedingungen der Bürger. Als freier Mensch kann es sich durchaus lohnen, eine gute Idee zu haben und diese dann zu vermarkten. Dazu kommen wissenschaftliche Erkenntnisse, die u.a. in die landwirtschaftliche Produktion einfliessen, wie z.B. gezielter Fruchtwechsel, Verbesserung der Anbausorten, künstliche Düngung… Zusammen mit der Mechanisierung führt das dazu, dass Bauern mit weniger Arbeitskräften mehr produzieren können. Die Verbesserung der Medizin erhöht die Lebenserwartung der Bevölkerung. Dadurch steigt die Bevölkerungszahl im 18. und 19. Jahrhundert markant an und die Nachfrage nach Lebensmitteln und Produkten für den täglichen Bedarf (z.B. Kleider, Gebrauchsgegenstände…) wird grösser.

Aber auch die Zahl der Menschen, die eine Beschäftigung brauchen, steigt. Da Grund und Boden immer knapper wird, steigen die Preise dafür. Verschärft wirdh die Situation durch die Fabrikbesitzer, die Land aufkauften, um darauf ihre Fabriken zu errichten. Für viele Menschen, die ausser ihrer Arbeitskraft nichts anzubieten haben, die sog. „Proletarier“ ist die Arbeit in der Fabrik die einzige Alternative. Und da die Fabrikherren das wissen und diese Proletarier in einer grossen Zahl vorhanden sind, kommt es zu einem neuen Abhängigkeitsverhältnis dieser Leute gegenüber den Fabrikherren. Da viele Fabrikherren die Situation ausnützten und die Löhne so tief wie möglich halten, kommt es zum sog. „Pauperismus“, der Verelendung weiter Bevölkerungskreise, die zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben haben.
Die Erfindung der Dampfmaschine 1769 durch James Watt eröffnete eine neue, im Gegensatz zur Wasser- und Windkraft standortunabhängige Energiequelle, die praktisch Tag und Nacht zur Verfügung stand und wenig störanfällig war. Dazu arbeitete sie schneller und präziser und bestimmte fortan das Arbeitstempo der Menschen.
Ende des 18. Jahrhunderts ist der staatlich diktierte Merkantilismus am Ende. Sein Erbe tritt die Physiokratie an, die „Herrschaft der Natur“, die Idee, dass nur die Natur [Landwirtschaft] zur Wertsteigerung beiträgt. Adam Smith erweitert das neue Wirtschaftsmodell, in dem er neben der „Urproduktion“ (Landwirtschaft, Bergbau…) auch jeder anderen sinnvollen produktiven Tätigkeit zugesteht, den Wohlstand des Volkes zu vermehren. Die treibende Kraft für die Vermehrung des Wohlstands sei der „Eigennutz“, der durchaus zum Wohle aller führen könne. Im Gesetz von „Angebot und Nachfrage“ sei die Natur in der Lage, die wirtschaftlichen Abläufe selber sinnvoll zu regeln. So wird Adam Smith zum Vater des „Wirtschaftsliberalismus“ (freie Marktwirtschaft).
Die Industrielle Revolution verändert die Arbeitswelt und die Gesellschaft markant. Dass diese Veränderungen nicht nur positiv sind, haben wir schon angedeutet. Nicht jeder kann „vorne“ mithalten. Eine Fabrik zu haben verlangt nach Kapital (Geld, viel Geld). Die meisten Menschen haben dieses nicht und können sich auch keines beschaffen. Die Massen an Arbeitern kann die Landwirtschaft nicht mehr aufnehmen. Sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft den Fabriken anzubieten, was eine neue Abhängigkeit schafft. Der „Proletarier“ ist der, der ausser seiner Arbeitskraft nichts anzubieten hat. Findet er eine Arbeit, verfügt er zwar über ein regelmässiges Einkommen, zum Leben reicht es aber meist kaum. Die Proletarier befinden sich in einem dauernden Existenzkampf, der früher oder später auch soziale Spannungen nach sich ziehen muss.
Gearbeitet wird im Schichtbetrieb rund um die Uhr, denn die teuren Maschinen wollen ausgelastet sein. 12 – 14 Stunden Arbeit am Tag sind keine Seltenheit. Erst mit der Zeit wird diese Arbeitszeit auf 10 Stunden reduziert. Die Arbeit ist laut, ungesund, monoton und ermüdend. Der Arbeitsrhythmus wird von den Maschinen diktiert.
Da die Fabrikarbeiter in der Nähe der Fabrik leben müssen, gibt es Ballungszentren, in denen die Wohnungsnot gross ist. Wohnraum ist teuer. Meist fehlt es auch an der nötigen Infrastruktur (fliessendes Wasser, Abwasserkanäle, Toiletten…).
Aber auch die Fabrikbesitzer stehen unter Druck. Maschinen sind teuer und müssen gewartet und oft schon nach kurzer Zeit durch bessere ersetzt werden. Die Konkurrenz auf einem „globalisierten“ Markt ist enorm und die Preisentwicklung nicht immer absehbar (Angebot und Nachfrage).
Kinder einfacher Leute müssen zu allen Zeiten mitarbeiten. Das Privileg des Nichtstuns oder der Bildung können sich nur Kinder reicher Leute leisten und die sind absolut in der Minderzahl. Da Kinder sich kaum wehren können, werden sie als gefügige und billige Arbeitskräfte angesehen, denen man zudem nicht so viel zahlen muss, wie einem Erwachsenen (sie waren ja noch klein!). Oft müssen sie Arbeiten leisten, die Erwachsene nicht leisten können. Dabei ist das Knüpfen feiner Fäden bei Spinn- und Webmaschinen noch eine der angenehmeren Arbeiten, verglichen mit der Kohleförderung in den engen Stollen in einem Bergwerk, wo oft sogar Kinder liegend arbeiten mussten.

8 Stunden und mehr beträgt die Arbeitszeit für 9 – 13 Jährige, 11 Stunden und mehr die der 14-18-Jährigen. Daneben wird Ende des 18. Jahrhunderts die Schulpflicht eingeführt -, neben der Arbeit, wohlgemerkt. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnen mit den Fabrikgesetzen auch Kinderschutzgesetze langsam zu greifen. So wird 1839 in Preussen die Fabrikarbeit für Kinder unter 9 Jahren verboten und bei bis zu 16-Jährigen auf 50 Stunden pro Woche (bei einer Sechstagewoche) verkürzt. Ab 1891 dürfen nur noch Kinder ab 14 Jahren in der Fabrik arbeiten, was aber das Problem nicht löst, da sich die meisten Familien keine „nutzlosen Esser“ am Tisch leisten können.
Die Armut breiter Massen bleibt ein Thema bis ins frühe 20. Jahrhundert und damit auch die Tatsache, dass Kinder durch Arbeit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen.
Kinderarbeit noch heute: Indien ist gemessen an der Bevölkerung pro m2 das bevölkerungsreichste Land der Welt. Veraltete Gesellschaftsstrukturen, die der mittelalterlichen Ständeordnung entsprechen und zudem noch religiös überhöht sind, verschärfen das Problem der Kinder, vor allem der Mädchen, die schon alleine von der Tatsache her, dass sie Mädchen sind, unterprivilegiert sind. Solange die Armut so gross ist, dass Kinderarbeit existenziell wichtig ist, ist das Problem der Kinderarbeit nicht lösbar. Die Kinderarbeit in Indien lässt sich vergleichen mit der Kinderarbeit in der industriellen Revolution. Stossend daran ist, dass wir hundert Jahre nach der industriellen Revolution eigentlich weiter sein sollten. Dass Kinder zum Unterhalt der Familie beitragen müssen oder ihren eigenen Unterhalt schon früh durch Arbeit selber verdienen müssen, ist nicht nur in Indien, sondern auch in anderen Teilen Südwestasiens, Afrikas und Südamerikas der Fall.
Die Phasen der Industrialisierung können etwas vereinfacht etwa wie folgt eingeteilt werden:
Frühe Industrialisierung (erste Hälfte 19. Jahrhundert
Heimarbeit (Verlagssystem)
Textile Massenproduktion
Mechanisierung der Textilindustrie und Landwirtschaft
Wasser und Wind als Kraftquelle neben der Muskelkraft
Hochindustrialisierung (zweite Hälfte 19. Jahrhundert)
Schwerindustrie (Eisengewinnung), und Kohlebergbau
Maschinenindustrie
Dampfmaschine als Kraftquelle
Dampf-Lokomotiven (Schienen) und -Schiffe
Spätindustrialisierung (gegen Ende 19. Jahrhundert)
Elektrifizierung (Stromgewinnung), Telekommunikation und Glühlampe
Elektrischer Strom als Kraftquelle
E-Lokomotiven
Erste Produkte der Unterhaltungsindustrie (Phonograph, Radio…)
Verbrennungsmotoren: Autos
Die Dampfmaschine (Industrielle Revolution) revolutionierte die Welt wie vor 10‘000 Jahren das Sesshaftwerden der Menschen (Neolithische Revolution). Die erste verwendbare Dampfmaschine wurde 1712 von Thomas Newcomen konstruiert. Für den nächsten revolutionären Schritt, die Elektrifizierung der Maschinen vergingen nicht einmal mehr 200 Jahre (1866 Werner von Siemens; Dynamo als Grundprinzip der Stromerzeugung). Die Entwicklung des Verbrennungsmotor ist demgegenüber „nur“ eine Weiterentwicklung der Dampfmaschine. Anstatt dass heisser Dampf in den Kolben eingeblasen wird, beim Verbrennungsmotor ein Brennstoff/Sauerstoff-Gemisch durch eine Zündkerze zur Explosion gebracht.
Die nächste Stufe der industriellen Revolution wird die Elektronifizierung sein. Elektronik ist die Steuerung von Vorgängen mittels Elektrizität. Sie beginnt schon kurz nach der Entdeckung der Elektrizität, erreicht ihren Höhepunkt aber Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Erfindung des Transistors. Zwar wird der erste Computer auf Relaisbasis, später auf Basis von Elektro-Röhren schon 1941 entwickelt (also weniger als 100 Jahre nach der Elektrifizierung , aber richtig voran geht es erst mit dem Transistor als Steuerelement. 1960 baute IBM den IBM 1401, einen transistorisierten Rechner mit Magnetbandsystem. Ab 1978 hält der Computer in Privathaushalten Einzug. Apple, Commodore und Atari sind hier die Vorreiter des heutigen Computerzeitalters.
Das frühe 19. Jahrhundert ist eine schwierige Zeit. Einerseits leidet Europa unter Napoleon, andererseits schafft der grösste Vulkanausbruch der Neuzeit (Tambora, 1815, Bild rechts) schwierige Klimaverhältnisse, die über längere Zeit zu Hungerkatastrophen führen (1815 ist das „Jahr ohne Sommer“). Dazu kommen Krankheiten an Pflanzen wie die Kartoffelfäule, die ganze Ernten vernichten und denen der Mensch (vorerst) nichts entgegenzusetzen hat. Hunger bis hin zum Hungertod gehörte also auch in der Schweiz des 19. Jahrhunderts durchaus zu den Lebenserfahrungen der Menschen. Mangelerscheinungen schwächen die Bevölkerung generell und lassen auch die Kindersterblichkeit in die Höhe schnellen. 1883 kommt es mit dem Krakatau zu einem weiteren Vulkanausbruch mit globalen Folgen.
Pauperismus (von lat. pauper = arm), die Armut weiter Bevölkerungsteile, hat viele Ursachen:
- Einerseits liegt er in der Bevölkerungsentwicklung. Es gibt zu viele Leute gemessen am Angebot der Arbeitsstellen. Nicht alle finden Arbeit und damit ein genügendes Auskommen.
- Die schwierigen Verhältnisse in der Landwirtschaft durch die erwähnten Klimaeinflüsse führen zu vermehrten Missernten, steigenden Lebensmittelpreisen und Hunger.
- Das physiokratische Wirtschaftssystem fördert diejenigen die etwas haben und nicht die, die nichts haben (die haben zwar ihre Chancen, aber kaum die Möglichkeit, sie wahrzunehmen). Die Reichen werden immer reicher, ein Armer kommt kaum je aus seinem Armutsloch heraus.
- Die mit der industriellen Entwicklung einhergehende Umweltverschmutzung beeinträchtigt die Gesundheit der Leute, das wiederum beeinträchtigt die dringend benötigte Arbeitskraft.
- Armut führt zu einer Verrohung der Sitten (vor allem Alkoholismus mit allen Begleiterscheinungen).
- Die vielen Armen belasten die Sozialfürsorge der Gemeinden, so dass diese die Armen lieber heute als morgen loswerden.
Eine Möglichkeit, die in vielen Gemeinden auch realisiert wird, ist, die Armen mit einem Startkapital auf Nimmerwiedersehen nach Übersee oder in die Ostgebiete zu schicken. Das ist billiger, als sie jahrzehntelang durchzufüttern. 100‘000 Schweizer verlassen zwischen 1820 und 1880 ihre Heimat als „Wirtschaftsflüchtlinge“ (Die Schweiz hatte 1820 noch keine 1,5 Millionen Einwohner, 1880 sind es etwas mehr als 2,5 Millionen!). In Übersee werden viele Auswanderer schliesslich Opfer skrupelloser Betrüger, die den Einwanderern Weiterreisemöglichkeiten verkaufen, die es nicht gibt oder gar Land für die Bebauung, das als Agrarland wertlos ist oder gar nicht existiert.
Der Sozialismus (von lateinisch socialis ‚kameradschaftlich‘) ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs. Er umfasst eine breite Palette von politischen Ausrichtungen. Der Sozialismus richtet sich gegen den Kapitalismus und will das Kapital (Geld), das es für wirtschaftliche Entwicklungen halt doch braucht, mindestens gerechter verteilt sehen.
Den Kommunismus (lat. communis „gemeinsam“) zu definieren ist ebenso schwierig wie beim Sozialismus, da sich auch hier verschiedene Strömungen treffen. Wir definieren hier Kommunismus als politisches System, das (theoretisch) die soziale Gleichheit und Freiheit aller Gesellschaftsmitglieder, auf der Basis von Gemeineigentum und kollektiver Problemlösung anstrebt.

Karl Marx (Bild links mit seinem Freund Friedrich Engels) wird am Gymnasium im Sinne der Aufklärung erzogen. Er stammt aus einem ursprünglich jüdischen Elternhaus, das später unter der Herrschaft der Preussen (nach Napoleon) zum Protestantismus konvertiert. Am Studium der Jurisprudenz, das sein Vater für ihn vorgesehen hat, ist er nicht interessiert. Er zieht es vor, die Schriften von Friedrich Hegel (einem zeitgenössischen Philosophen) zu studieren, der die Idee vertritt, dass der Mensch sich seine Geschichte und damit auch die Klassengesellschaft selbst gemacht hat und erst frei sein wird, wenn er wieder gelernt hat, seine Geschichte selber in die Hand zu nehmen, zu diktieren und nicht, sich von ihr diktieren zu lassen. Marx ist überzeugt, dass der Masse der Proletarier die Zukunft gehört, weil bis jetzt die Unterdrückten sich letztlich immer wieder erfolgreich gegen die Unterdrücker gewehrt hätten. Deshalb will er das Proletariat stärken. Und er will das mit wissenschaftlichen Argumenten tun. Als Kind seiner Zeit denkt er wohl, dass er mit seinem klaren Denken die Wahrheit gepachtet hat, vergisst aber, dass die Geschichte unabhängig von irgendwelchen Gedankengebäuden ihre eigenen Wege geht.
Marx‘ Schriften sind dem preussischen Staat suspekt. „Eigentum sei Diebstahl an der Gemeinschaft“, heisst es dort unter anderem. Der Privatbesitz müsse Gemeingut werden. Schliesslich werden Marx‘ Schriften verboten und er muss ins Exil, zuerst nach Belgien, von dort nach Paris und schliesslich nach London, wo er bis zu seinem Lebensende bleibt.
1848 brodelt es wieder in verschiedenen Städten Europas. Es ist die Zeit der 48er.Revolutionen, Die Menschen fordern Freiheit und Demokratie. Deutschland besteht im Deutschen Rheinbund immer noch aus 35 locker verbundenen Einzelstaaten. Die Einigkeit ist noch weit entfernt. Unter dem Druck der Aufstände sehen sich viele Fürsten vorerst gezwungen, Zugeständnisse zu machen. In diese Zeit fällt die Veröffentlichung des „Kommunistischen Manifests“ von Karl Marx, in dem er seine Vision eines Arbeiterstaates darlegt. Marx fordert die Proletarier auf, sich gegen die Bourgeoisie zu erheben („Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“). Aber er erkennt bald, dass die Zeit für eine Arbeitererhebung noch nicht reif ist. Zuerst muss das Bürgertum gegen den Adel siegen, bevor sich die Arbeiterschaft erfolgreich gegen das Bürgertum erheben kann. Und er soll Recht behalten. Bald wendet sich das Blatt wieder und die Aufstände der 48er-Bewegung werden blutig niedergeschlagen. Der Adel hat nochmals gegen das Bürgertum gesiegt. Damit fällt auch der von Marx geforderte Kampf des Proletariats gegen das Bürgertum dahin. Aber seine Schrift wird noch grosse Auswirkungen auf die deutsche Geschichte und die Weltgeschichte haben.
Marx selber lebt mit seiner Familie lange Zeit in bitterster Armut. Drei seiner sechs Kinder sterben frühzeitig. Lediglich die finanzillen Zuwendungen seinen Freundes, des Textilfabrikanten Friedrich Engels, bewahren ihn und seine Familie vor dem Hungertod. Marx und Engels ergänzen sich gut. Mark ist der Theoretiker, Engels der Praktiker, der Marx immer wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurückholt. Schliesslich kommt Marx durch Börsenspekulationen und ein Erbe doch noch zu einem nennenswerten Vermögen. Das erlaubt ihm schliesslich auch, sein Lebenswerk „Das Kapital“ fertig zu stellen, das in der Folgezeit zur Bibel der Kommunisten wird.

Mit Lenin beginnt in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts die „Diktatur des Proletariats“. Stalin wird das System übernehmen und auch Mao Tse Tung in China. Schliesslich werden sich die Politiker, die über die Hälfte der Menschheit regieren, auf Marx berufen, obwohl ihr diktatorischer Staatskommunismus nichts mehr mit den Ideen von Marx zu tun hat. Man nennt diese Art des Kommunismus auch „Realsozialismus“. In Europa werden die Kommunisten einen schweren Stand haben. In Deutschland gelten sie als Staatsverräter und werden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch verfolgt. Nach dem 2. Weltkrieg wird der Osten Deutschlands, die DDR (Besatzungszone der Russen) zu einem kommunistischen Staat.
Die grosse Revolution des Proletariats, die Marx und Engels vorausgesehen haben, bleibt aus. Marx hat übersehen, dass der Kapitalismus auch lernfähig ist. Den Arbeitern geht es mit der Zeit immer besser und nicht immer schlechter. Zudem nehmen die Arbeiter mit Hilfe einiger fortschrittlicher bürgerlicher Geister zunehmend ihr Schicksal selber in die Hand. Sie gründen Arbeitervereine, Konsumvereine, Arbeiterversicherungen und –krankenkassen… Schliesslich hielten sie auch Einzug in die Politik, wo sie ihre Interessen als Sozialisten und Sozialdemokraten vertreten konnten.
Im Realsozialismus sagen der Staat bzw. dessen Führer, was zu tun ist. Damit nehmen sie der Wirtschaft das, was Adam Smith (Physiokratie) als einen der wichtigsten Motoren der Wirtschaft erkannt hat, den Eigennutz. Wieso soll ich mehr leisten, wenn ich persönlich nichts davon habe? Die daraus hervorgegangene Herrschaftssysteme, der Ostblock mit den Führungsmächten Sowjetunion und China führen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum „Eisernen Vorhang“, der Abschottung des Ostens vom Westen und zum „Kalten Krieg“, der die Welt 1962 an den Rand eines Atomkriegs führt (Kubakrise). Die meisten dieser Staatsdiktaturen fallen erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts (Fall der DDR 1989, Fall der Sowjetunion 1991). Spätestens hier ist zu erkennen, dass die kommunistische Idee als politisches System als gescheitert angesehen werden muss.
Die von Marx erwartete Revolution des Proletariats bleibt - wie schon gesagt - aus. Aber auf anderer Ebene tut sich durchaus etwas. 1824 entsteht in England die erste Arbeitervereinigung, eine Keimzelle der späteren Gewerkschaften, die die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern vertreten. Da in Deutschland die Landesfürsten ein Koalitionsverbot ausgesprochen haben um die liberalen Bewegungen im Land zu unterbinden, dauert es hier etwas länger. Das Koalitionsverbot wird 1860 aufgehoben, ab 1871 darf sich jeder Arbeiter einer Gewerkschaft anschliessen. Da sich die Gewerkschaften auch politisch betätigen, kommt es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu wichtigen sozialen Neuerungen auf Gesetzesebene wie der obligatorischen Kranken- und Unfallversicherung.
Unter Vermittlung der Kirchen und einzelner Unternehmer kommt es zu Sozialwerken, die sich um die Randständigen kümmern, der Schaffung menschwürdiger Arbeiterwohnheime, Kantinen, Weiterbildungsmöglichkeiten. Erste genossenschaftliche Konsum-Vereine entstehen, in denen Arbeiter gut und günstig einkaufen können und z. T. sogar Mitspracherecht und Gewinnbeteiligung haben.
Auch in der Schweiz wird das preussische Sozialmodell wahrgenommen, nur dauert es hier wieder einmal etwas länger. Als der Staat 1880 mit der Ausarbeitung einer staatlichen Krankenkasse macht, haben sich viele Bürger und Arbeiter schon privat organisiert. Das Volk ermächtigt zwar den Bund zur Gesetzgebung in Fragen der Kranken- und Unfallversicherung, eine staatliche Krankenkasse wird aber wiederholt abgeschmettert. Schliesslich wird 1912 die Unfallversicherung (SUVA) verstaatlicht, die Krankenversicherungen bleiben aber weiterhin privat. Auch in der Alters- und Hinterbliebenenvorsorge harzt es. Das Gesetz der AHV/IV wird erst 1948, dann aber mit einem überwältigenden Mehr von 80 % angenommen. AHV und IV werden zu einer der wichtigsten sozialen Stützen unserer Gesellschaft, zeigen aber auch schon bald, dass sie wegen der vorhersehbaren Bevölkerungsentwicklung und der unvorhersehbaren Kapitalentwicklung sehr gefährdet sind.

1851 entsteht der Zürcher Konsumverein. Viele weitere folgen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die genossenschaftlich organisierte COOP in Leben gerufen. Das rettet den schwächelnden Konsumvereinen das Leben. 1925 gründet Gottlieb Duttweiler (Bild rechts) die MIGROS, die 1941 ebenfalls in eine Genossenschaft umgewandelt wird. Was auf der Strecke bleibt, sind die vielen privaten „Dorflädeli“ die ihren Besitzern bis dahin ein Auskommen geboten haben. COOP und MIGROS sind noch heute die führenden Detailhandelsketten, werden aber seit kurzem von den deutschen Handelsketten ALDI (2005) und LIDL (2009) konkurrenziert.
Quelle: http://files.dorner-verlag.at/onlineanhaenge/files/978-3-7055-0881-1_ms.114.pdf