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Die alte Kartause
Die Kartäuser gestern und heute
"Cartusia numquam reformada quia numquam deformada." Dieser Satz gilt im wesentlichen noch heute. Der Kartäuserorden wurde nie reformiert, weil er nie deformiert wurde, das heisst, weil er die ursprünglichen Ordensstatuten getreulich bis in die heutige Zeit befolgt hat. Der Satz klingt heute etwas anachronistisch, weltfremd. Während andere Orden sich den Gegebenheiten der neuen Zeit angepasst haben und auch deren Annehmlichkeiten in ihr Klosterleben einbezogen haben, hat sich in den Kartäusern, wie übrigens auch bei den Trappisten (37) seit ihrer Gründung nicht viel geändert. Nicht einmal das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 65) unter dem unvergessenen Papst Johannes XXIII vermochte daran auf Zeit etwas Wesentliches zu ändern. Noch heute zelebrieren die Mönche die älteste lateinische Liturgie, nachdem ein Versuch mit der Liturgie in der jeweiligen Landessprache gescheitert war, weil die Mönche - vor allem in der Mitternachtsmesse - regelmässig dabei einschliefen. In eine Kartäusermesse gehört einfach der gregorianische Ritus.
Gegen Erleichterungen im Ordensleben haben sich die Kartäuser immer mit dem Argument gewehrt, dass Erleichterungen zur Degeneration der Gemeinschaft führen, womit sie nicht ganz unrecht haben dürften. Papst Urban V (1362 - 70) war den Kartäusern äusserst wohlwollend gesinnt. Er wollte ihnen sein Wohlwollen beweisen, indem er im Ordensleben der Mönche einige Erleichterungen einführte. Das Entsetzen in der Grande Chartreuse über den päpstlichen Erlass war gross. Die Patres pilgerten nach Rom. Das Bild dieser demütigen Mönche in grobem Schuhwerk und nicht mehr ganz sauberen weissen Kutten mag im Vatikan für einiges Aufsehen gesorgt haben. Die Abgesandten flehten den Papst an, seinen Erlass zurückzunehmen und erklärten ihm den Sachverhalt. Der Papst war nicht gewohnt, Leute zu empfangen, die als einzige Gunst von ihm erbaten, er möge sie von seiner Gunst verschonen. Der Papst war edel genug gesinnt, um dem Ansinnen der Mönche zu entsprechen und sie mit seinem Segen zu entlassen. Diese Form des passiven Widerstands entspricht dem kartäusischen Verständnis der Forderung Jesu in der Bergpredigt (Matt 5, 39-41).
Ganz deutlich ist die Kartäuserbewegung nicht aus einer enthusiastischen Bewegung entstanden. Die Ordensregeln basieren auf der Erkenntnis und den Gedanken intelligenter, gereifter Männer, die sehr wohl wussten, was sie auf lange Zeit hinaus erreichen wollten. So pflegt der Kartäuser eine "unekstatische" Gottesbeziehung von gleichbleibender Tiefe und Intesität. Der Beharrlichkeit der Gottesbeziehung entspricht auch die Beharrlichkeit des Ordens: "Stat crux, dum volitur orbis" (38) lautet der Wahlspruch der Grossen Kartause bei Grenoble.
Ein Beispiel kartäusischer Denkart erzählt folgende Anektote aus dem 16. Jahrhundert: Die Katholische Kirche war im Lauf der Zeit hohl und unglaubwürdig geworden, was schliesslich die Reformation einleitete. Auch die Kartäuser kritisierten den Vatikan als "pompöses Puppenspiel". Aber sie sagten sich: "Wir können den Vatikan nicht ändern, aber wir können uns ändern, um die Katholische Kirche wieder ins Lot zu bringen." Seither lebten sie ihre Ordensregeln noch strenger als zuvor. Diese Mischung aus tief gelebter Frömmigkeit und Kompromisslosigkeit verblüfft immer wieder. Vielleicht dürfen wir sagen: Was dem Jesuiten das Intellektuelle ist, ist dem Kartäuser das Kontemplative; und alles geschieht "At majorem Dei gloriam" (39). Ein Leben aus Gott für Gott!
In der heutigen Zeit kommt immer wieder die Frage auf, was ein Orden für eine Existenzberechtigung hat, der weder Mission, noch Seelsorge, noch Wissenschaft betreibt. Was "leisten" die Mönche eigentlich, was schaffen sie Produktives? Es braucht nicht diskutiert zu werden, dass die Wertmassstäbe unserer modernen Gesellschaft und unseres aufgeklärten Christentums auf das Phänomen kontemplativer Orden nicht anzuwenden sind. Die Mönche selber würden ihren Entscheid kaum zu rechtfertigen suchen. Wir sollten uns hingegen, in einer Zeit, wo wir die Werte der modernen Gesellschaft und die fatalen Folgen ihres Tuns ernsthaft zu hinterfragen beginnen, wieder neu bewusst werden, dass es auch andere gangbare Wege gelebten Christentums gibt. Die Kartäuser brauchen nicht unbedingt das Leitbild eines neuen christlichen Lebens zu sein, sie bewahren in ihrem Orden aber Werte, die durchaus einmal zu reflektieren wären. Vielleicht wird das allegorische Bild des "Lichtleins in der Dunkelheit", an dem jeder, der will, seine erlöschte Glaubensflamme neu entzünden kann, der Bestimmung der Kartäuser gerecht. 600 Ordensleute in der Stille ihrer Klausur verändern die Welt nicht. Aber Moses hat die Schlacht gegen die Amalekiter auch nicht entschieden, indem er kräftig dreinschlug, sondern indem er die Hände bittend zu Gott erhob (Ex 17, 8-13). Vielleicht sollten wir im Blick auf diese Mönche auch die Fürbitte in unserem Leben neu bewerten: "Alles, was ihr im Gebet gläubig erbittet, werdet ihr empfangen" (Matt 21, 22). Bitte, Lob und Dank als zentrale Lebensinhalte, ein unkonventionelles Lebensprogramm, aber vielleicht ein Weg zu einem bewussteren und zufriedeneren Leben -, ohne New Age!
9. 9. 1977; Delegation der "Stiftung Kartause Ittingen" zu Besuch in der Kartause La Valsainte im Kanton Fribourg
Der junge Spund links hinter dem Prior, das bin ich!
Graduale Aboense (14./15. Jahrh.)
Salve Regína, mater misericórdiae; / Vita, dulcédo et spes nostra, salve.
Ad te clamámus éxsules filii Hevae. / Ad te suspirámus geméntes et flentes
In hac lacrimárum valle. / Eja ergo, advocáta nostra,
Illos tuos misericórdes / Oculos ad nos covérte.
Et Jesum, benedíctum fructum ventris tui, / Nobis post hoc exsílium osténde.
O clemens, o pia, o dulcis Virgo María.
Antiphon zur Komplet
Sei gegrüsst, Königin, Mutter der Barmherzigkeit; / Leben und Wonne, unsere Hoffnung, sei gerüsst!
Dich rufen wir an, Evas verstossene Kinder; / Zu dir seufzen wir auf, wehklagend und weinend,
Hier, im Tal der Tränen. / Wende denn du, unsere Schutzpatronin, deine gütigen Augen uns zu in Gnade.
Und Jesus, die gesegnete Frucht deines Leibes, / Lass nach diesem Erdenleid uns schauen.
Oh milde, oh gütige, oh süsse Jungfrau Maria.
Fussnoten:
37 Benannt nach dem Zisterzienserorden von La Trappe, Normandie, der 1664 reformiert wurde und seither zu den strengsten Orden zählt.
38 "Das Kreuz steht, während sich die Welt dreht."
39 "Zur höheren Ehre Gottes." (Wahlspruch des Ignatius vo Loyola)