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RELIGION / PHILOSOPHIE > Die alte Kartause (Kartause Ittingen im Thurgau) > Zur Kunstgeschichte der Kartause Ittingen > Kirche



Zur Kunstgeschichte der Kartause Ittingen

Die Kirche


Bevor wir vom Kreuzgang her die Kirche betreten, schreiten wir über eine Sandstein-Grabplatte. Sie gehört zum Grab, in dem Johann Ulrich Oening Juntaler (genannt Jünteler) von Schaffhausen (+ 9. März 1490), ein Wohltäter der Kartause, mit seiner Frau Anna begraben liegt. In seinem Wappenschild ist eine Mutschelle (59) zu sehen. Die Grabinschrift in Minuskeln (60) ist nur noch teilweise zu entziffern.

Weiter hinten im nördlichen Kreuzgang findet sich noch eine zweite Platte, die das Grab von Heinrich Murer (+ 1638) deckt.

Der ganze Chorraum ist rund 40 Meter lang und 6 Meter breit. Wir betre­ten den Professchor gerade vor dem Lettner, der die Kirche in zwei Teile, den Profess- und den Bruderchor trennt. Vom Kreuzgang her führt eine Treppe auf den Lettner, der aber wegen Baufälligkeit nicht mehr betreten werden darf. Zum Hochamt wurde der Lettner jeweils geöffnet, so dass auch vom Bruderchor und der Gästeempore der Blick auf den Altarraum frei war.

Der Hochaltar

Der Hochaltar im beschwingten barocken Stil von Freiburg im Breisgau wurde vom Bild­hau­er Matthias Faller aus dem Schwarzwald und  dem Stukkateur Johann Georg Gigl (61) aus Wessbrunn in den Jahren 1763 - 1767 gestaltet. Er wird seitlich beleuchtet von zwei Fenstern aus dem 1703 gefertigten seitlichen Chor-Anbau (62) von Kaspar Moosbrugger. Das ist der einzige "barocke Schwung", den sich das streng gestaltete spätgotische Kirchenschiff erlaubt.

Die korinthischen Säulen, die den Hochaltar mit der Mensa und den mit einer Kreuzesnische versehenen Tabernakel flankieren, sind aus Stuckmarmor. Dieser barocke "stucco lustro" wurde durch Verrühren von heisser Kalkseife und Marmorpulver in den gewünschten Farbnuancen angemacht, heiss aufgetragen und mehrmals mit Wachs poliert. Die vorherrschenden Farbtöne sind gold, weiss (Alabaster) und rosa.

Das Haupt-Altarbild mit der ekstatischen Madonnenverehrung durch den Kartäuser Bruno, wie alle Gemälde in der Kirche von dem Konstanzer Maler Franz Ludwig Herrmann ausgeführt, gehört zu den besten Arbeiten des Malers. Die beiden flankierenden Statuen des Hl. Bruno und des Hl. Hugo scheinen in das Bild einbezogen zu sein. Auch die Gemälde der beiden Seitenaltäre, die Hl. Ursula evangelienseitig und die Hl. Katharina epistelseitig gehören zu den besseren Werken des "Viel- und Schnellmalers" Herrmann. Einige Seitenaltäre wurden 1848 weggeschafft.

Über dem Haupt-Altarbild sprengt die Engelsgloriole in üppiger barocker Pracht jede architektonische Fessel und gibt in der Lichtführung des Oculus aus gelbem Glas eine Ahnung des "jenseitigen" Lichts. Ganz besonders eindrücklich ist dieses Lichtspiel in der Dämmerung. Die Engel sind aus Gips, Sand und Nussöl gefertigt. Die Masse erkaltet sehr schnell und bedingt schnelles und präzises Arbeiten. Ist alles in der Kirche nach barockem Muster symmetrisch angeordnet, so bildet die Gloriole den einen, auf Gott zentrierten Punkt in der Kirche.




Optisch zum vorderen Altarraum gehörend, aber räumlich nach hinten versetzt, ist die Uhrenkatusche (63) am Scheitel des Triumphbogens mit dem "memento mori" im Uhrfeld. So werden dem Betrachter sinnfällig die Vergänglichkeit hier und die Herrlichkeit Gottes dort vor Augen geführt.


Das Deckenfresko über der Gloriole mit dem Hl. Bruno als Fürbitter (Krankenheilung am Brunnen über seinem Grab) schafft mit seiner Fluchtperspektive in barocker Manier eine optische Überhöhung des Raumes.

Die beiden mannsgrossen, polierweissen Figuren auf einer Konsole über dem Altarumgang stellen epistelseitig (64) den Hl. Bruno von Köln mit dem Totenkopf als Attribut, evangelienseitig (65) den Hl. Hugo von Lincoln mit Kelch und Jesuskind als Attribut dar. Der Putto mit der Mitra beim Hl. Bruno symbolisiert die abgelehnte Bischofswürde, der Schwan zu Füssen des Hl. Hugo die Reinheit der Gesinnung.

Weitere Fresken

Das Hauptfresco im Professchor stellt die Begegnung des Hl. Bruno mit dem Norman­nen­fürsten Roger zwischen Arena und Stilum zu La Torre dar. Aus dieser Begegnung wurde Graf Roger zum Gönner der ersten Kartause ausserhalb Frankreichs, "Santa Maria del Eremo" in Kalabrien. In den Zwickelbildern (66), die das Hauptbild flankieren, ist oben rechts die Speisung des Elia dargestellt (1 Kön 17,6), oben links eine nicht genau definierbare Prophetengestalt (Elisa 1 Kön 19,19 ?), unten links die Versuchung Jesu in der Wüste (Matt 4,1) und unten rechts Johannes der Täufer in der Wüste (Matt 3,1).

Das Hauptfresko des Bruderchors stellt den Hl. Bruno und seine sechs Gefährten dar, wie sie vom Hl. Petrus, dem Vertreter der Kirche, das Marianische Brevier und mit ihm die Aufgabe der Marienverehrung erhalten.

An der Westwand im Bruderchor sehen wir die Szene des Totenoffiziums in Paris. Andere Bilder von Eremiten und heiligen und seligen Kartäusern und Kartäuserinnen sollen die Laienbrüder und Knechte zu einem sittsamen, gottesfürchtigen Leben anhalten. Ich verzichte hier auf eine nähere Beschreibung der weiteren Fresken im Bruderchor.

Der hintere Altarraum

Er wird ostwärts vom schon erwähnten Triumphbogen mit der Uhrenkartusche überspannt. Epistelseitig steht der in Nussbaum geschnitzte Pontifkalsitz. Seine reich mit Fruchtmotiven verzierten korithischen Säulen tragen eine Zwiebelkuppel mit der Figur des Hl. Stephanus mit einer Feder. Der Sitz, der in die Muschelnische gehört, ging 1977 als Geschenk der Kartause La Valsainte wieder an die Kartause Ittingen zurück.

Das Pendent dazu evangelienseitig ist eine Art Pult, darüber ein Ölgemälde der Heiligen Familie. Das Zwiebeldach auf dieser Seite trägt die Figur des Hl. Laurentius mit dem Rost. In der Mitte steht das zweiteilige Ambo (67) für das Lesen der Episteln und Evangelien. Der Altarraum wird von zwei Stufen abgegrenzt und geht in den Professchor über.

Der Professchor

Die beiden hölzernen seitlichen Türflügel sind reich verziert mit wun­derbaren Blumenmotiven und in der Machart gleich wie die übrigen Schnitzereien. Sie tragen die eindeutige Handschrift von Meister Chrysotimus I Fröhli (1652 - 1724) und seinen Söhnen aus Bichelsee, die 1703 bis 1719 in der Kartause weilten. Die epistelseitige Tür führt in die Sakristei.

Das Prunkstück des Professchors ist ganz eindeutig das Professgestühl nach Buxheimer Vorild aus der Hand des Meisters von Bichelsee. Es besteht aus Nussbaum und ist in seiner Vielfalt kaum zu beschreiben, ein Höhepunkt barocker Schnitzkunst! Von den 22 Stallen (68) stehen je 9 wandseitig und je 2 lettnerseitig. Jeder Sitz ist anders gestaltet. Lesepulte, Krebslehnen und der verkröpfte Architrav mit Kartuschenfries betonen die Horizontale, Pilaster und Seitenwangen die Vertikale.

Betpult:
Verkröpfte Maserkassetten flankiert von reich mit Frucht-, Blumen- und anderen Pflanzenmotiven verzierten Pilastern.

Sitze:
Sie sind aufklappbar, denn nur zu Lesungen aus dem Alten Testament durften die Mönche sitzen. Um den Mönchen, vor allem den älteren, eine Erleichterung in den langen Chogebeten zu verschaffen, sind auf der Unterseite der Sitze "Misericordien" (69) angebracht, eine Art Miniatursitze, die ein "Sitzen im Stehen" erlauben. Die Fratzengesichter, die die halbreisförmigen Sitzplatten tragen, stellen dämonische Mächte dar, auf die man sich beruhigten Gewissens setzen konnte.

Trennwangen:
Diese seitlichen Begrenzungen der einzelnen Chorstühle weisen besonders reiches, durchbrochenes Schnitzwerk auf. Die Fusswangen stellen Tiere jeder Art dar (Löwe, Hase, Delphin, Nilpferd ...), zum Teil grotesk, zum Teil humorvoll ausgestaltet. Die Sitzwangen bilden in der Mitte eine volutenartige Ausstülpung, die den Mönchen als diskrete Aufstehhilfe diente. Die Hochwangen sind von Köpfen geziert, darunter Türkenköpfe, wohl in Anspielung auf die ursprüngliche Herkunft der Ittinger Kartäuser. Oben laufen die Schlusswangen in volutenartigem Blattwerk aus.

Schulterring:
Er erlaubte das Anlehnen unter gleichzeitiger Aufstützung der Arme in den langen Stundengebeten, den stehend gehaltenen Messen ...

Dorsale:
Von zwei Pilastern flankiert eine verkröpfte liegende Maserkassette, darüber eine Muschelnische mit je einer Statue aus Lindenholz, die wahrscheinlich nicht aus der Werkstatt Fröhli stammen. Die Figuren stellen neben der Heiligen Familie katholische Ordensgründer dar.

Architrav:
Verkröpft, darüber Kartuschenfries

Bekrönung:
Dichtes, durchbrochenes Federwerk aus Blumen-, Frucht- und Pflanzenmotiven. Ölgemälde von Aposteln, zum Teil unbekannter Herkunft. Epistelseitig eine alles überstrahlende Monstranz mit dem Christusmonogramm IHS (70), evangelienseitig ein Marienmonogramm.

Überaus vielfältig und reich ist die Symbolik der Figuren und Motive. Sie können hier unmöglich alle beschrieben werden. Sehr häufig kommen vor:

Granatapfel : Sinnbild des überirdischen Segens aus dem Bund mit Gott im Alten Testament
Weintraube: Sinnbild für Christus (Joh 15,1.15) und das Messopfer
Rose: Sinnbild der Verschwiegenheit71, als Rose ohne Dornen: Mariensymbol, auch Sinnbild der Passion Christi
Muschel: Sinnbild der Maria (Perle = Jesus) und der Empfängnis göttlicher Gnade

Andere Symbole sind zum Beispiel:

Nilpferd: Sinnbild der brutalen Kraft, die nur durch Gott gebändigt werden kann
Löwe: Sinnbild des verschlingenden Abgrunds (Dan 6,16) im Alten Testament, Evangelistensymbol (Markus), aber nach dem "Pysiologus" auch Auferstehungssymbol
Hase: Symbol der Zeit, der gesegneten Fruchtbarkeit, aber auch der vefolgten Seelen
Delphin: Sinnbild der Auferstehung, der Überwindung des Todes

Der Lettner

Das Chorgestühl setzt sich in der Ostseite des Lettners fort, der den Chorraum im Verhältnis 1:1 teilt. Auf der Lettnerempore, die einen schönen Intarsienboden (wahrscheinlich 1765) aufweist, standen früher 4 weitere, von Matthias Faller 1766/67 paarweise geschaffene, Altäre: der Kreuzaltar (heute Buch bei Üsslingen), der Josepfsaltar (heute Tobel), der Brunoaltar (heute Schönholzerswilen) und ein unbekannter, verschollener Altar. Gegen Osten ist der Lettner durch ein Eisengitterfragment von 1765 mit Christusmonogramm IHS abgegrenzt. Die schmiedeeiserne Westbalustrade aus dem frühen 19. Jahrhundert ziert heute die Orgelempore des Kirchleins Warth.

Der Bruderchor

Er kann heute nicht mehr durch das Lettnerportal betreten werden, weil dieses zugemauert ist. Ausserdem befindet sich die hintere Kirche in einem desolaten Zustand. Auf die Freskenausstattung wurde schon hingewiesen, ansonsten ist der Bruderchor heute leer. Die Reste des Chorgestühls stehen in der Sakristei. Hinten an der Westwand des Bruderchors befand sich früher eine weitere Empore für Besucher. Die Brüder betraten den Chor von Westen her durch ein schönes Sandsteinportal aus der Zeit des Neuaufbaus der Kartause. Es trägt neben dem Schild mit dem Klosterwappen die Jahrzahl 1550. Der Mittelpilaster ist nach Art der frühen Renaissance mit Vasen, Ranken und einem Engelchen verziert.

Die Stukkaturen

Die filigranen, malachitfarbenen Stukkaturen mit zum Teil freihängenden Girlanden sind in ihrer Zartheit und ihrem Schwung vollendetes Rokoko. Sie sind aus der Hand von Meister Johann Georg Gigl entstanden. Durch unterschiedliche Grüntönungen und aufgemalte Schattierungen wurde die Plastizität der Ranken und Rocaillen noch verstärkt. Weisse Engelsputti schmücken die Gesimse. Sie sind Träger mannigfacher christlicher Symbole und zum Teil allegorischen (73) Darstellungen, z.B. Putti mit Anker und Herz als Personifikation von Liebe und Hoffnung, Putti mit Kruzifix und Totenschädel als Personifikation von Tod und Auferstehung in Christus. Andere tragen Marterwerkzeuge von Heiligen, Kreuz und Kelch ... Diese Arbeiten sind 1763 von einem unbekannten Meister geschaffen worden. Zum Teil sind die Figuren schon stark beschädigt.

Fussnoten:

59 rundes Brötchen
60 Kleinbuchstaben
61 der gleiche Mann, der die Kathedrale von St. Gallen stukkiert hat
62 der Fachbegriff dafür lautet "Auskröpfung"
63 Kartusche: schildartige Fläche zur Aufnahme einer Inschrift oder eines Wappens, umgeben von einem ornamental geschmückten Rahmen
64 rechts
65 links
66 Zwickel: dreieckiges Verbindungsstück
67 erhöhtes Lesepult
68 Stühle
69 vom lat. misericordia = Barmherzigkeit
70 "Jesus hominae salvator"
71 "sub rosa" = "im Vertrauen sagen"
72 Muschelwerk, wichtigstes Dekorationselement des Rokoko
73 Allegorie: rational fassbare Darstellung abstrakter Begriffe


 
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