„Justitia“ von Balthasar Schmitt, Justizpalast München,1897
(Allegorie des Abwägens zwischen zwei Polen und der Suche nach einem gerechten Ausgleich zwischen den Polen)
Nachwort zum Fach „Geschichte“ in der Schule
Geschichte als Schulfach soll Jugendlichen nahe bringen, wie der Mensch im Laufe der Zeit zu dem geworden ist, was er heute ist. Was wir heute sind, hat seinen Grund darin, was einst gewesen ist und was wir heute sind, wird einen Einfluss darauf haben, was die Menschen in Zukunft sein werden. Der Mensch ist - im Denken und Handeln, in seinen Überzeugungen und Wertvorstellungen - stark geprägt von seiner Geschichte. Um uns das bewusst machen zu können, müssen wir unsere Geschichte kennen! Und sinnvoll wäre es darüber hinaus, die Geschichte "der anderen" ebenfalls zu kennen, denn die kann sich erheblich von der unseren unterscheiden.
Leider ist diese Entwicklung der Menschheit immer noch in hohem Masse geprägt von Gewalt und Kriegen. Zwar gibt es auch das andere, aber dieses tritt gegenüber den dunklen Seiten im Menschen zu oft in den Hintergrund. Wer an das Gute im Menschen glaubt, wird immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Wer heute zaghaft äussert, dass unsere Einstellungen und unser Denken das mitbestimmen, was einmal sein wird („der Gedanke ist der Vater der Tat“), wird immer noch leicht als weltfremder Phantast angesehen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir sehr darauf achten sollten, woran wir unsere Gedanken hängen, denn es wird auf lange Sicht nicht ohne Folgen bleiben!
Geschichte, wie sie in der Schule gelehrt wird, ist zwangsläufig eine Auswahl. Eine Auswahl ist immer subjektiv und wird damit der Wirklichkeit nur bedingt gerecht. Auch wenn wir Geschichtslehrer bemüht sind, unvoreingenommen, neutral und fair zu sein, uns „der Wahrheit“ verpflichten, werden wir diesem Anspruch nie vollumfänglich gerecht werden können. Geschichte lässt sich auch nicht „objektivieren“, weil dahinter ganz viele „Subjekte“ stehen, Subjekte als Täter, als Opfer, als Beobachter, als Mitleidende…
Die für den Unterricht notwendige Verkürzung der geschichtlichen Perspektive führt – trotz aller Bemühungen historisch redlich zu bleiben – dazu, dass die gelehrte Geschichte irgendwo „nicht mehr stimmt“. Speziell in der Arbeit mit meinen Schülern ist mir schmerzlich bewusst geworden, wie weit die „Geschichte der Lernenden“ von der Geschichte derer entfernt ist, die sie erlebt haben (Augenzeugen).
Bei der Betrachtung neuerer Filmdokumente, die zum Teil erst kürzlich veröffentlicht worden sind, wurde mir wieder einmal bewusst - und das habe ich schon in meiner Einführung festgehalten, aber es beschäftigt mich dauernd -, wie wenig wir im Unterricht von dem Leiden vermitteln können, das Menschen in der Geschichte durchgemacht haben. Wie viel unmenschlich Menschliches haben Menschen Menschen in all den Jahrhunderten angetan! Wäre der Mensch das intelligente, von Moral geleitete Geschöpf, das er immer wieder gerne zu sein beansprucht, müsste er angesichts dieser Leiden sein ganzes Streben daran setzen, dass so etwas nie wieder geschehen kann.
Die Weltordnung ist auch heute noch auf Krieg und Gewalt gebaut. Neu kommt der flächendeckende Terror dazu. Dabei könnte es durchaus im Blickfeld menschlicher Intelligenz und moralischer Verantwortung liegen, sich andere Weltordnungen – basierend auf Mitmenschlichkeit (Empathie), Zusammenarbeit, Frieden, gegenseitiger Hilfe… - zu ersinnen und umzusetzen. Das wäre wahrlich eine „Revolution des Geistes“!
In meinem Geschichtsunterricht habe ich mich für eine Darstellung einer kausalen Chronologie von der Steinzeit bis zum Zweiten Weltkrieg entschieden. Ich habe mich – nicht zuletzt aus zeitlichen Gründen – auf einzelne Fakten beschränkt. Dabei ist das zu kurz gekommen, was eigentlich zentral hätte sein sollen: Was haben wir aus dem immensen Leiden von Millionen einfacher Menschen, den Opfern der Geschichte, gelernt? Haben wir es getan, diese Welt für alle Menschen lebenswert zu machen? Wenn ja, sicher zu wenig! Ich habe das Glück gehabt, ein ganzes Leben in einer Periode des Friedens in einem stabilen geopolitischen Umfeld leben zu dürfen. Ich bin mir aber bewusst, dass das für meine Generation keine Selbstverständlichkeit war und dass das auch für künftige Generationen nicht selbstverständlich sein wird.
Solange sich das menschliche Denken nicht vorbehaltlos zu Frieden, Mitmenschlichkeit und Bewahrung der Schöpfung bekennt, werden wir auch kaum die Chance haben, mit unseren Mitmenschen in Frieden zu leben und die Schöpfung, die Grundlage unseres Lebens, zu erhalten. Das Ende der Menschheit wird kommen. Allerspätestens in 5 Milliarden Jahren wird es nicht nur keine Menschen, sondern auch keine Erde mehr geben. Was wird dann bleiben? Wird der Geist letztlich über die Materie siegen oder wird das „Experiment Mensch“ sich als „misslungener Versuch“ in den Unendlichkeiten des Universums verflüchtigen?