Vertreibung a.d. Paradies - Hänsel und Gretel - Homepage Werner Keller 2016

Suchen
Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Vertreibung a.d. Paradies - Hänsel und Gretel

RELIGION / PHILOSOPHIE > Weisheit in Bibel und Märchen


DIE WEISHEIT IN BIBEL UND MÄRCHEN

GEBRÜDER GRIMM: HÄNSEL UND GRETEL
VERTREIBUNG ODER BEFREIUNG AUS DEM PARADIES? (Gen 3)



Struktur der Lesung:

Einleitung
1) Das Paradies
2) Festhalten oder loslassen?
3) Die Versuchung
4) Das neue Sehen
5) Das neue Sein (Ausgang aus der Unmündigkeit und die Konsequenzen)
6) Das Wirken „darüber hinaus“

Einleitung

1) Das Paradies

„Vor einem grossen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern: das Bübchen hiess Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beissen und zu brechen, und einmal, als grosse Teuerung ins Land kam, konnte er auch das tägliche Brot nicht mehr schaffen.“

Hänsel und Gretel leben bei ihren Eltern. Sie sind unzertrennlich. Für sie ist das ein paradiesischer Zustand der Unbekümmertheit und Freude. Sie können sich kein anderes Leben vorstellen, auch wenn die Mutter offensichtlich nicht immer so lieb zu ihnen ist. Die Eltern leben in einer Lebenswirklichkeit, die den Kindern noch weitgehend fremd ist. Der Vater ist der, der „im Schweisse seines Angesichts“ sein Brot verdienen muss, die Mutter ist die, die in einer konkreten, praktischen Weise schauen muss, wie die Familie überleben kann. Die „Teuerung“, von der im Märchen die Rede ist zeigt an, dass das Leben an diesem Ort immer schwieriger wird. Veränderungen sind angesagt, es muss neue Bewegung ins Leben kommen, das Leben kann nicht stillstehen, es muss sich weiterentwickeln. Das „tägliche Brot“ droht auszugehen, nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Nahrung. Der Mutter fällt die Aufgabe zu, eine „lebensnotwendige“ Entscheidung zu treffen, eine Entscheidung, die die „Not dieses Lebens wendet“! Ist sie deshalb böse?

> Der „paradiesische Zustand" bei Adam und Eva (Gen 2, 8-9; 15; 18-19)

"Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei. Und Gott der HERR machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen."

Adam uns Eva leben in einer Welt, die Gott ihnen gegeben hat. Wie bei Hänsel und Gretel und den Eltern ist ihre Sicht der Welt nicht die Sicht ihres Schöpfers. Sie hören zwar die Regeln, die das Leben im Paradies erfordert, aber wirklich einsehen, was diese Regeln sollen, können sie nicht. Selbst im Paradies lauert der Tod. Das uneingeschränkt "Gute" gibt es nicht. Wir können zwar die Wirklichkeit verdrängen, versuchen, den unbeschwerten, pardiesischen Zustand aufrecht zu erhalten, aber eines Tages wird uns die Realität einholen. Das Leben ist aus sich heraus eine Herausforderung!

2) Festhalten oder loslassen?

„Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bette zu dem Vater sprach: „Alles ist wieder aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder herausfinden; es ist sonst keine Rettung für uns.“ Dem Mann fiel's schwer aufs Herz.“

Die Mutter versucht, die Kinder im Wald auszusetzen. Früher fand das Leben der Menschen in gerodeten Waldlichtungen statt. Der Wald umgab allgegenwärtig diesen geschützten Lebensbereich. Der Wald wurde als unheimlich, ja bedrohlich empfunden. Andererseits stellte das Eindringen in den Wald die einzige Möglichkeit dar, aus dem eigenen begrenzten Lebensbereich auszubrechen und neue Lebensmöglichkeiten zu suchen. Der Mann ist ein rechtschaffener Arbeiter, der sich als Holzhacker durchschlägt, so gut es geht. Aber er ist auch in einer gewissen Weise naiv, wenn er die Notwendigkeit nicht sieht, dass die Kinder beginnen müssen, eigene Wege zu gehen. Die Mutter denkt da praktischer, denn ihr obliegt die Aufgabe, für den Fort-bestand der Familie zu sorgen, auch wenn das schmerzliche Entscheidungen nach sich zieht. Ihr ist klar, dass die Kinder dort hinaus müssen!

> Der Preis des paradiesischen Gehorsams (Gen 2, 16-17)

"Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben."

Wir erfahren hier, dass die existenzielle Bedrohung des Menschen zu tun hat mit dem Leben selber und mit der Erkenntnis. Das Leben mit seiner Endlichkeit für den Einzelnen ist eine grosse Herausforderung und Erkenntnis lässt sich nicht einfach mit einem Löffel auflöffeln, sondern muss durch Erfahrung von Höhen und Tiefen auf freudigen, aber auch auf leidvollen Wegen erworben werden. Gott weiss das, der Mensch noch nicht. Will Gott dem Menschen deshalb den Weg des Leidens ersparen? Der paradiesische Zustand ist gut und recht, aber er hat einen Haken: Wenn wir das Leid nicht kennen, können wir auch keine Freude erfahren. Das nämlich ist Erkenntnis, das eine aus dem anderen zu erfahren! Der Preis dafür, das Licht zu sehen, ist, die Dunkelheit zu kennen. Das weiss auch die Schlange. Nur bietet sie dem Menschen das Licht ohne den Schatten an. Das ist ihre List, das ist ihr Betrug, denn auch sie weiss, dass es das eine ohne das andere nicht gibt.

3) Die Versuchung

"Als es Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweisses Vöglein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, dass sie stehenblieben und ihm zuhörten. Und als es geendet hatte, schwang es seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie gingen ihm nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessen Dach es sich setzte, und als sie ganz nah herankamen, so sahen sie, dass das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. „Da wollen wir uns dran machen“, sprach Hänsel, „und eine gesegnete Mahlzeit halten.“

Wer hätte das gedacht? Mitten im Wald, mitten im rauhen Leben ein Schlaraffenland! Aber vielleicht sind wir Erwachsene da schon etwas misstrauisch. Wir haben ja gelernt, dass uns im Leben nichts geschenkt wird. Wenn das Gute, die Fülle so wohlfeil vor unseren Augen steht, muss das einen Hacken haben. Nur, die Kinder denken nicht so. Sie nutzen unbekümmert die günstige Gelegenheit. Sie fragen nicht weiter, sondern beginnen, sich die Köstlichkeiten einzuverleiben, die so einladend vor ihren Augen stehen.

"Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, dass sie fallen liessen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe und sprach: „Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierhergebracht! Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.“ Sie fasste beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiss gedeckt, und Hänsel und Gretel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel."

Das ist der grosse Auftritt der Hexe, dem Kinder immer wieder mit Schauern entgegenfiebern. Aber wenn wir den Text genau lesen, erscheint sie zunächst keineswegs als die „böse Alte“, wie wir sie im Kopf haben. Sie ist ausgesprochen freundlich und gibt den Kindern sogar sozusagen ein Stück des Paradieses zurück, das sie vor kurzem verloren haben. Aber gerade in dieser Freundlichkeit steckt das Dämonische dieser Frau. Sie würde die Kinder am liebsten „fressen“. „Jemanden zum Fressen gern haben“ kann zu einer totalen Vereinnahmung der geliebten Person führen. Vereinnahmung ist aber keine Liebe! Somit stellt diese alte Frau im Wald, die wir meist allzu schnell als „böse Hexe“ bezeichnen, eigentlich nichts anderes dar, als die „Schattenseite“ einer allzu liebenden Mutter.

> Die Versuchung durch die Schlange eröffnet neue Möglichkeiten (Gen 3. 1-5)

"Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist."

Wir wissen nicht aus welchen Motiven die Schlange Adam und Eva einredet, dass der Ungehorsam bezüglich der Bäume des Lebens und der Erkenntnis keine negativen Folgen für sie haben werde. Wir können spekulieren, aber das bringt uns letztlich auch nicht weiter. Auch die Tatsache, dass es  eine Schlange ist, die hier schicksalshaft ins Leben von Adam und Eva eingreift, lassen wir für dieses Mal ausser Acht. Zweifellos aber eröffnet die Schlange den beiden Menschen eine neue Perspektive. Und mich wundert es nicht, dass Eva, die als Frau und (potenzielle) Mutter dem Leben näher steht, die Möglichkeit als Erste wahrnimmt.

4) Das neue Sehen

"Die Hexe stiess das arme Gretel hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon herausschlugen. „Kriech hinein“, sagte die Hexe, „und sieh zu, ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschiessen können!“ Und wenn Gretel darin war, wollte sie den Ofen zumachen, und Gretel sollte dann braten, und dann wollte sie's auch aufessen. Aber Gretel merkte, was sie im Sinn hatte und sprach: „Ich weiss nicht, wie ich's machen soll; wie komm ich da hinein?“ - „Dumme Gans“, sagte die Alte, „die Öffnung ist gross genug: siehst du wohl, ich könnte selbst hinein“, krabbelte heran und steckte den Kopf in den Backofen. Da gab ihr Gretel einen Stoss, dass sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Hu! da fing sie an zu heulen, ganz grauselig; aber Gretel lief fort, und die gottlose Hexe musste elendiglich verbrennen."

Wir haben versucht, die Hexe als Zerrbild einer allzu fürsorglichen Mutter zu verstehen, die die Kinder - im Märchen buchstäblich - zu verschlingen droht. Die schreckliche Szene von der Mästung des Hänsel in einem Käfig und der täglichen Kontrolle seiner „Wachstumsfortschritte“ verliert von da an ihren Schrecken, wo die Kinder bemerken, was wirklich vorgeht. Was die Hexe den Kindern anscheinend „zuliebe“ tut, tut sie eigentlich nur aus Eigennutz. Dieses eigennützige Streben macht sie fast blind für die Gefühle, Instinkte und Fähigkeiten der Kinder. Damit wird sie sträflich unvorsichtig. Dafür werden die Kinder umso „hellsichtiger“, je mehr sie dieses Tun der Hexe durchschauen. So gelingt es Hänsel, die Hexe mit einem Knöchelchen zu täuschen und Gretel gelingt es schliesslich, die Hexe in jene Falle zu locken, die für sie vorgesehen gewesen wäre. Mit dem Verbrennen der Hexe wird der Aspekt der alles verschlingenden Mutter zum Verschwinden gebracht. Der Spuk ist vorbei.

> Adam und Eva gehen die Augen auf - Verlust der naiven Unschuld

"Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze."

Die Entscheidung ist getroffen, der Bann gebrochen, der Mensch hat sich für die andere Variante entschieden, nicht für die, die Gott ursprünglich vorgesehen hat. Das neue Sehen eröffnet ihnen neue Möglichkeiten, aber sie sehen auch, dass sie "nackt" sind. Dieses Nacksein allein auf das Körperliche zu beziehen, wäre zu kurz gegriffen. Nein, sie sehen, das was auch Aristoteles mit seinem scharfen Verstand letztlich konstatieren musste: "Ich weiss, dass ich nichts weiss, aber das weiss ich!" Das Nichtwissen ist der Preis für die Erkenntnisfähigkeit und da viele ihr Nichtwissen nicht bemerken können oder wollen, Nichtwissen aber dem erkenntnisorientierten Menschen sehr unangenehm ist, beginnen wir, uns hinter jeder Menge "Feigenblättern" zu verstecken, die letztlich mehr enthüllen, als sie verhüllen.

5) Das neue Sein (Ausgang aus der Unmündigkeit und die Konsequenzen)

Gretel aber lief schnurstracks zum Hänsel, öffnete sein Ställchen und rief: „Hänsel, wir sind erlöst, die alte Hexe ist tot!“ Da sprang Hänsel heraus, wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn ihm die Türe aufgemacht wird. Sie gingen in das Haus der Hexe hinein, da standen in allen Ecken Kästen mit Perlen und Edelsteinen. Hänsel steckte in seine Taschen, was hinein wollte, und Gretel sagte: „Ich will auch etwas mit nach Haus bringen“, und füllte sein Schürzchen voll. Als sie ein Weilchen fortgingen, da kam ihnen der Wald immer bekannter und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttelte sein Schürzchen aus, dass die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.

Jetzt, wo die Kinder frei sind, im übertagenen Sinn können wir auch sagen: „mündig“ geworden sind, stehen ihnen die Schätze offen, die das Leben dem Tüchtigen bereit hält. Sie können ihre Taschen mit Edelsteinen füllen. Diese sind nicht mehr für den sofortigen, genussorientierten Gebrauch - wie das Zuckerwerk - bestimmt, sondern sie dienen der Sicherung ihrer Zukunft, die sie noch - diesmal als eigenständige und eigenverantwortliche Menschen - vor sich haben. Jetzt ist ihnen auch der Weg in ihr Eltern¬haus wieder offen. Mit dem, was sie mitbringen, sind sie keine Existenzbedrohung mehr für die Eltern, - im Gegenteil, jetzt können sie den Eltern sogar eine Hilfe sein! Ist der Weg zum Elternhaus der Weg zurück ins Paradies? In einem gewissen Sinn „ja“. Aber sie betreten das Elternhaus ganz sicher anders, als sie es verlassen haben.

> Für Adam und Eva hat der Ungehorsam Konsequenzen (Gen 3, 13-19)

"Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß. Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden."

Wir haben es schon einmal gesagt: Mit der neuen Erkenntnis ist kein Leben in unbekümmerter paradiesischer Naivität mehr möglich. Das Leben und das Überleben fordern ihren Tribut. Der wirkt aber nur bedrohlich, wenn man sich vorher schon ins Bild des paradiesischen Nichtstuns eingelullt hat. Aus der nüchternen Sicht des Hier und Heute spricht Gott eigentlich nur das an, was uns im Alltag gegewärtig ist, unser Leben, das uns neben dem Leid eben auch Freude bringt und in dem ganzen Auf und Ab und Hin und Her die Erkenntnis uns Lebenserfahrung, die uns letztlich stolz machen kann, falls wir nicht daran zerbrechen. Ich möchte nicht verschweigen, dass zu diesem Weg auch das Scheitern gehören kann. Das ist der Preis für den Ausgang aus der Unmündigkeit. Aber als gläubige Menschen dürfen wir annehmen, dass auch das existenzielle Scheitern nicht im Nichts zerrinnt, sondern von einer gütigen Hand aufgefangen wird.

6) Das Wirken „darüber hinaus“

Das Märchen endet hier mit einem „Happy End“, während die Geschichte von Adam und Eva hier eigentlich erst richtig beginnt, nämlich mit dem Leben der Menschen, wie wir es kennen. Adam und Eva werden nach dem „Sündenfall“ - bildlich gesprochen - in den Wald, ins Leben geschickt. Im „Schweisse seines Angesichts“ muss Adam fortan sein Brot verdienen, „unter Schmerzen“ muss Eva - die Bewahrerin des Lebens fortan ihre Kinder gebären. Dass es viele „Knusperhäuschen“ im Leben gibt, die unsere momentanen Bedürfnisse befriedigen, wissen wir Erwachsenen aus Erfahrung. Aber wo sind die „Perlen und Edelsteine“, die unser Leben nachhaltig zu sichern vermögen? Wo und wann werden wir sie finden? Adam und Eva stehen stellvertretend für die ganze Menschheit. Wird auch der Weg des Menschen aus dem Paradies zurück zum Paradies führen? Wir hoffen es, aber wir wissen es nicht. Wollen wir es überhaupt? Wir werden das Leben wohl noch manchmal als ein undurchdringliches Dickicht empfinden. Wir werden aber auch immer wieder erfahren können, dass wir in der Lage sind, uns in diesem Dickicht zu behaupten, irgendwie neue Wege zu finden. Diese Erfahrungen werden unser Leben bereichern und unseren Charakter stärken.

Das Märchen von Hänsel und Gretel kann uns ermuntern, die Erzählung von der Vertreibung aus dem Pardies unter einem anderen Blickwinkel zu Ende zu denken:

> „Vertreibung“ als Entlassung aus der Unmündigkeit in die Mündigkeit

Und etwas Letztes möchte ich nicht unerwähnt lassen: (Gen 3,21)

"Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an."

Gott ist zwar konsequent in seinem Tun, aber er tut es nicht ohne eine letzte Liebestat. Er lässt seine „Kinder“ nicht einfach gehen, er "kleidet" sie für ihren neuen, rauhen und entbehrungsreichen Weg.


 
Copyright 2015. All rights reserved.
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü