Letztes Jahr im Herbst fand im Seminarhotel und Bildungshaus in Kappel eine Weiterbildung zum Thema „Astrophysik und Spiritualität“ statt. Referenten waren Prof. Arnold Benz, Astrophysiker und seine Partnerin, Ruth Wiesenberg Benz, Pfarrerin. Da mich das Thema „von Haus aus“ sehr interessierte (der Mensch lebt nicht von Brot allein), hatte ich mich angemeldet.
Wie zu erwarten, waren die beiden Ansätze nicht leicht unter einen Hut zu bringen. Zum einen haben zuerst einmal Astrophysik und christliche Theologie zusammenzufinden. Naturgemäss sind die Ansätze zu einer Kosmologie in der jüdisch-christlichen Überlieferung nur spärlich, denn die Fragestellungen des gläubigen Menschen früher unterschieden sich erheblich von denen der Naturwissenschaften heute. Allenfalls können wir für eine „christliche Kosmologie“ die Schöpfungsmythen aus Genesis 1 und 2 heranziehen, die im weitesten Sinn von der Entstehung des Menschen handeln. Es ist aber auch hier klar: Die Verfasser der Schöpfungserzählungen wollten keine naturwissenschaftlichen Erklärung zur Entstehung der Welt liefern und sie haben ihre Erkenntnisse mit dem Wissen der damaligen Zeit (vor 2‘500 bzw. 3‘000 Jahren) ausgedrückt.
Frau Wiesenberg wies darauf hin, dass das Wort „Spiritualität“ auf das lat. „spiritus = Geist“ und auf das Verb „spirare = atmen“ zurückgeht. Man kann also Spiritualität als „Geist aus meinem Atmen“ übersetzen. Es ist der Geist, der in mir wirkt, solange ich lebe (atme), der mich bewegt und eine Beziehung zu einem höheren Ganzen schafft, das mein persönliches Sein überschreitet. Spiritualität in diesem Sinn schafft eine Beziehung zwischen der Immanenz (das was unserem Sein innewohnt) und der Transzendenz (das was unser Sein überschreitet).
Prof. Benz ist ein Naturwissenschaftler, der seine Position im Erkenntnisgebäude klar definiert und auch erklärt, warum Naturwissenschaft nicht in der Lage ist, alles zu erklären. Die Naturwissenschaft setzt sich selber Erkenntnisgrenzen, indem sie nur gelten lässt, was beobachtbar und messbar ist und was sich jederzeit überall reproduzieren lässt. Spiritualität ist nicht Teil des naturwissenschaftlichen Weltbildes, weil sie die vorgegebenen Prämissen nicht erfüllt. Deshalb aber behaupten zu wollen, es gäbe sie nicht, wäre dann doch zu kurz gegriffen und entspräche keineswegs der wahrnehmbaren Wirklichkeit.
Es ist immer wieder ein Erlebnis, Prof. Benz auf seiner Reise ins Universum zu folgen. Um aber keinen Zweifel offen zu lassen, was wir hier tun, präsentierte er uns zwei Seiten aus seiner wissenschaftlichen Arbeit. Unnötig zu sagen, dass wir in dem Gewirr von Formeln überhaupt nichts verstanden. Dieser Einblick in die Astrophysik machte uns klar, dass Naturwissenschaftler auf einem „anderen Planeten“ zuhause sind und die Welt anders sehen als wir Normalsterblichen.
„Säulen der Schöpfung“ im Carina-Nebel
“Mystic Mountain”,
Entfernung 7’500 Lj.; Säulenhöhe 3 Lj.
(Hubble Space Telescope - Wide Field Camera 3)
Dann kehrten wir aber zu dem zurück, was auch wir verstehen. In der Bibel hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Schöpfung nicht ein einmaliges Ereignis war, sondern sich immer wieder neu ereignet (Creatio continua). Angesichts der „Säulen der Schöpfung (Pillars of creation)“ wurde und klar, was das im kosmischen Zusammenhang heissen könnte. Dass dieses ständige Neu-Werden alles andere als selbstverständlich ist, erläuterte uns ein „staunender“ Prof. Benz anhand der 25 Naturkonstanten, die sind, was sie sind, die aber die Existenz eines Universums, wie wir es kennen, in Frage stellen würden, wenn sie nur leicht anders wären, als sie sind. „Für mich ist das Entstehen eines neuen Sterns ein ständig neues Wunder. Und auch wenn wir viel über die Sternentstehung wissen, sind wir noch weit davon entfernt, wirklich zu verstehen, was hier vorgeht!“
Man kann diese wunderbaren Naturerscheinungen einfach als gegeben hinnehmen und zur Tagesordnung schreiten. Man kann sich aber auch von diesen wunderbaren Vorgängen berühren lassen. In der inneren Anteilnahme entsteht dann eine neue Beziehung zu diesen Gegebenheiten, die neben Staunen auch Dankbarkeit auslösen, denn diesen Gegebenheiten verdanken wir letztlich unsere Existenz. Jeder Entwicklungsschritt vom Urbeginn (dem „Big Bang“) bis heute war und ist wichtig, dass so etwas wie der Mensch entstehen konnte, der heute über das Universum nachdenkt.
Prof. Benz rechnete uns vor, wie wahrscheinlich es bei den bekannten Parametern, die die Entstehung von intelligentem Leben auf der Erde ermöglicht haben, ist, dass es im Universum eine zweite Erde gibt. Unter mehrmaliger Betonung, es handle sich nur um eine grobe Schätzung, kam er auf eine Wahrscheinlichkeit von 10 -20. Bei einer geschätzten Gesamtzahl von 10 22 Sternen im Universum wird es für eine zweite Erde schon ziemlich eng. Einstein soll einmal von einem Journalisten gefragt worden sein, ob er glaube, dass es auf anderen Planeten Leben gebe. Freimütig antwortete er: „Ja.“ Studenten, die zufällig anwesend waren fragten ihn später im Kolloquium, wie er dazu käme, diese Frage so eindeutig mit „Ja“ zu beantworten. Einstein antwortete: „In dieser Frage ziehe ich die interessantere Antwort vor!“
Auch wenn die Verbindung zwischen Astrophysik und Spiritualität nicht immer einfach ist, bin ich der Überzeugung, dass beide - Naturwissenschaft und Theologie - sich gegenseitig befruchten können, indem die Spiritualität in der persönlichen Beziehung zum Gegenstand das Staunen fördert, das nach Aristoteles am Beginn der Wissenschaften steht. Einen sehr hilfreichen Link hat Prof. Benz noch ganz am Schluss geschaffen, indem er uns einlud, die wunderbaren Bilder des Hubble HST, des Spitzer- oder WISE-Observatoriums als Ikonen zu sehen. Zur Erinnerung: Ikonen sind Kultbilder der Ostkirche, die die Aufgabe habe, eine Beziehung zwischen den Betrachter und dem, was hinter (!) dem Bild der Ikone liegt, herzustellen. In der Ikonografie geht es nicht darum, das anzubeten, was dargestellt ist, sondern eher ein „Fenster“ zu schaffen zwischen der Realität des Betrachters und einer transzendenten Realität „hinter dem Bild“.
Wozu wir im Gespräch nicht gekommen sind, ist, das Verhältnis von Geist zu Materie zu beleuchten. Geist ist nicht messbar und deshalb in der Naturwissenschaft abwesend. Ich bin aber nach einem Jahr Studium und Lektüre zum Thema zur Überzeugung gelangt, dass die ausschliesslich materielle Sichtweise nicht in der Lage ist, die Wirklichkeit als Ganzes befriedigend zu erklären, dass es neben der physikalischen materiellen Ebene noch eine nicht-physikalische geistige Ebene geben muss. Dass eine so hochkomplexe Realität wie biologisches Leben (hiermit meine ich alles, von pflanzlichen Leben über das tierische bis zum Menschen) entstanden ist, aus meiner Sicht von Vernunft weder physikalisch (Entropiegesetz) noch statistisch (Zufall) zu deuten ist, auch nicht über einen Zeitraum von 4 Milliarden Jahren. Und hier bin ich bei dem Satz, den ich an Anfang der Veranstaltung „Astrophysik und Spiritualität“ formuliert habe: „Ein Grund, warum ich hier bin, ist, dass ich mich weigere zu glauben, dass ich in direkter Linie von einem Bakterium abstamme und durch Mutation und Selektion „zufällig“ zu dem geworden, was ich heute bin.“ Einige der Zuhörer fanden diese Aussage „arrogant“, aber das – auch das ist ein Zeichen der Evolution – ist mir heute eher egal.
Eine für mich ebenfalls unbeantwortete Frage ist, ob es richtig ist, die Schnittstelle zwischen materieller „realer“ Wirklichkeit und immaterielle geistiger Wirklichkeit auf der Ebene der Quantenphysik zu suchen, wo die eindeutig fassbare materielle Wirklichkeit in eine nur noch statistisch fassbare Wirklichkeit (Wahrscheinlichkeit) übergeht, die in der Quantenfluktuation zwischen Sein und Nicht-Sein oszilliert. Es gibt anglo-amerikanische Autoren (z.B. Polkinghorn, Barbour…), die diese Ansicht vertreten. Prof. Benz legt an dieser Stelle sein Veto ein, die Grenze der (momentan) wahrnehmbaren physikalischen Wirklichkeit brauche nicht zwangsläufig schon auf eine „geistige Welt“ hinzudeuten, sondern zeige eher, dass unsere physikalisch beobachtete oder beobachtbare Wirklichkeit unvollständig ist.
Werner Keller